32. Steglitzer Kirchenmusiktage 

Berlin - Lankwitz, Kurfürstenstraße 59

  Mater Dolorosa

Sonntag, 24. 6.2001 um 17 Uhr 

Lydia Meyer, Violine

Krispin Simonett, Violoncello

Hans Peter Simonett, Orgel

 

Johann Sebastian Bach

1685 – 1750

Toccata, Adagio und Fuge C-Dur, BWV 564

 

Josef Rheinberger

1839 – 1901

Pastorale für Violine und Orgel, op.150, 4

Johann Sebastian Bach

Toccata und Fuge d-moll (dorisch), BWV 538

Josef Rheinberger

 

Elegie für Violoncello und Orgel, op.150,5

Johann Sebastian Bach

Toccata und Fuge d-moll, BWV 565

Josef Rheinberger

Thema und Veränderungen

aus der Suite für Violine, Violoncello und Orgel, op.149

Johann Sebastian Bach

Toccata und Fuge F-Dur, BWV 540

 

In diesem Konzert erklingen die vier großen Toccaten mit Fuge von Bach, also vier von seinen bekanntesten virtuosen Orgelkompositionen. Einen Kontrast dazu und einen Klangwechsel sollen die drei Kompositionen von Rheinberger bilden, dessen 100. Todestag in diesem Jahr zu gedenken ist. Rheinberger ist sechs Jahre jünger als Brahms, er wurde in seiner Zeit zu den wichtigsten deutschen Komponisten gezählt, heute ist fast nur noch seine Kirchenmusik bekannt und geschätzt, obwohl er nahezu alle Bereiche der Musik mit Werken bestellt hat, vom schlichten Klavierlied bis zur Oper. Wie weit auch diese heute unbekannten Werke wieder der musikalischen Praxis zu erschließen sind, ist schwer abzuschätzen. Unter seinen vielen Orgelwerken sind 20 Sonaten, die im Konzertsaal und in der Kirche erklungen sind und auch heute wieder aufgeführt werden. Als Kirchenkomponist hat er gegenüber dem Historismus, mit dem der Caecilianismus die Ausdrucksweite der Kirchenmusik beschränken wollte, eine zeitgenössische Kompositionsrichtung vertreten und selbst in Werken einfacher Faktur eine differenzierte Harmonik genutzt.

 

Die Namen seiner lyrischen Kompositionen weisen, wie hier mit Pastorale und mit Elegie, erst einmal auf ein lyrisches Stimmungsbild hin, doch weiß Rheinberger bei allem subjektiven Ausdruck dennoch die Eigenart der Kirchenmusik zu wahren. In der Pastorale bedient er sich einer scheinbar einfachen Faktur: zu einer schwelgerisch bewegten Melodie der Geige tritt ein ruhiger Begleitsatz. Dennoch finden sich, wie es damals modern war, auch in der schlichten Form plötzliche Tonartrückungen als Ausdrucksmittel. Die intensive Cantilene des Cellos wächst in der Elegie jeweils aus einem harmonisch fundierten Satz der Orgel heraus. Der subjektive Ausdruck scheint eingebettet in einen umgreifenden Klang, den der größeren kirchlichen Gegebenheit.

Die Suite op.149 für Violine, Violoncello und Orgel ist ein Werk von fast sinfonischen Ausmaßen. Der hier gespielte langsame Satz, Thema mit Veränderungen, stellt die lyrische Mitte dar. Den Streichinstrumenten wird im Dialog und im Zusammenspiel all der melodische Schmelz zugestanden, der sich noch mit dem so viel starreren Ton der Orgel vertragen kann. Anfangs sind die Variationen auch einzeln gut zu erkennen, man kann sie beinahe abzählen. Doch mit der Zeit entstehen daraus größere formale Einheiten. Die Gesamtform ist dreiteilig, der Mittelteil ist harmonisch sowie in Tempo und Bewegung so abgesetzt, daß er als anderer Charakter aufgefaßt werden kann.

Toccata, Adagio und Fuge in C-Dur gehören in Bachs frühe Meisterschaft. In dieser Dreisätzigkeit entspricht das Werk einem Concerto grosso dieser Zeit. Die Toccata entfaltet im ersten Teil eine für damalige Verhältnisse ganz außerordentliche Virtuosität; sie beginnt mit schnellsten einstimmigen Läufen, zuerst im Manual in Sechzehntel-, dann im Pedal der größeren Klangmasse wegen in Achtelbewegung. Damit wird gleichsam der Radius der möglichen Spieltechnik abgesteckt. So wie das Motto des Anfangs schon wie ein dreiteiliges emphatisch deklamiertes Thema eines Vortrages aufgefaßt werden kann, so hat die Figuration insgesamt den Charakter einer wirkungsvoll vorgetragenen Rede mit rhetorisch geschickt gesetzten Pausen, so daß die vorausgehenden Phrasen jeweils wie eine weit ausholende Sprechgeste wirken können. Der zweite und längere Teil der Toccata ist - ohne daß der rhetorische Ansatz verlassen wird – vierstimmig ausgearbeitet und in der Art der Konzertform Vivaldis gegliedert. Die modulierenden Soloteile spiele ich jeweils in lichterer Registrierung.

Im Adagio, in der Paralleltonart a-moll, wird die reich ausgezierte Oberstimme von einem Akkordsatz begleitet, der den Affektgehalt deutlich unterstützt. Eine mit Grave überschriebene Überleitung stellt die Modulation von diesem pathetischen langsamen Satz zur Fuge in C-Dur her. Das lange, durch seine Pausen in kleine deklamatorische Einheiten gegliederte Fugenthema bietet durch diesen „sprechenden" Charakter auch eine Beziehung zum Beginn der Toccata. Dann entfaltet das Thema einen Wirbel, der vergessen läßt, daß die Fugentechnik damals als „gelehrter Stil" begriffen wurde.

 

Bachs Dorische Toccata und Fuge (teilweise auch als Präludium und Fuge d-moll bezeichnet) beruhen auf dem Gegensatz von motorischer Figuration in der Toccata, also einem typisch instrumentalen Gestaltungsmittel, und der mehr gesanglichen Melodiebildung in der Fuge.

 

Der Aufbau der Toccata entspricht etwa dem eines Konzertsatzes, denn der Anfangsabschnitt kehrt mehrmals als verändertes Ritornell wieder, die vermittelnden Episoden dazwischen bilden allerdings keine großen Kontraste. Die Toccata gehört zu den wenigen Kompositionen, bei denen uns Angaben über den Manualwechsel überliefert sind, die auf Bachs Autograph zurückgehen dürften. Interessanterweise wird durch sie nicht der Wechsel zwischen den Ritornellen und den Soloabschnitten verdeutlicht, sie dienen vielmehr den Korrespondenzen auf kleinem Raum und lockern so den Klang auf.

 

Bei der Toccata könnte man die Notierung (d-moll ohne b) für eine der damals noch zeitüblichen äußerlichen Bezugnahmen auf die alte kirchentonale Tradition halten. Bei der Fuge sind die Bezüge zur Vergangenheit aber tiefgreifender. Dieser Satz ist auch in der Themenbildung und in weiteren Gestaltungsmitteln dem alten vokalen Kirchenstil verpflichtet. Bach hat in seiner Weimarer Zeit mehrere große Orgelfugen in diesem "cantablen Stil" geschaffen. Wenngleich hierbei das Vorbild der alten niederländischen Vokalpolyphonie deutlich ist, schafft Bach dennoch etwas Neues. Die Weiterführung des breit angelegten Themas geht nämlich in eine schnellere von instrumentalen Figuren geprägte Bewegung über. Ruhiger "Singstrom" und instrumentale Figuration - häufig in der Musikgeschichte entgegengesetzte Pole - werden zur Einheit verschmolzen.

 

Das Fugenthema ist in dem Stimmengewebe meist anwesend. Kontrastierende Zwischenspiele fehlen. Die Gliederung erfolgt durch deutliche Kadenzen. Diese Schlüsse bilden für den Hörer die Orientierung in dem sonst unaufhörlichen Fluß, der durch mehrfache Engführungen des Themas noch kontrapunktisch konzentriert ist. Von solch einem Fugenstil sagt Bachs Freund J. G. Walther, er sei, „voller Majestät, ehrbar und ernsthaft, kräftig, die Andacht einzuflößen und die Seele zu Gott zu erheben".

 

Toccata und Fuge in d-moll kann sicher als das populärste Orgelwerk Bachs gelten, und für viele, die nur geringen Bezug zur Orgelmusik haben, wird es der Inbegriff virtuoser Orgelmusik überhaupt sein. Es mag deshalb verwundern, wenn in der Musikforschung die Frage aufgeworfen werden konnte, ob diese Komposition, statt Original zu sein, nicht eine Umarbeitung einer unbekannten Violinkomposition sein könnte. Viele Figurationen jedenfalls können als typische Formulierungen für die Geige angesehen werden.

 

Den Anfang des Werkes kann man im Sinne des 18. Jahrhunderts als große rhetorische Geste verstehen. Kurze faßliche Einheiten werden dann kontrastreich nebeneinandergestellt.

 

Die Fuge ist ebenfalls abwechslungsreich gearbeitet, Kontrastpartien mit echoartigen Akkordbrechungen lockern den Satz auf. Im Schlußteil löst sich der Fugencharakter in toccatenhaftes Laufwerk auf.

 

Toccata und Fuge in F-Dur kann man wie kunstvolle Barockarchitektur auffassen. Denn das Werk ist übersichtlich gegliedert, und die Hauptkomplexe sind in sich noch weiter vielfältig strukturiert; besonders im Hauptteil der Toccata sind die einzelnen Abschnitte leicht faßlich und plastisch durchgestaltet. Aber trotz dieser klaren Anlage ist die Komposition nicht allein unter diesem eher statischen Gesichtspunkt kunstvoller musikalischer Architektur zu begreifen. Die Tendenzen der Entwicklung, der Weiterführung sind in der Toccata so groß, daß ihr unbedingt noch etwas folgen muß: eben die Fuge. Gewöhnlich sind aber bei Bach Präludium – die Toccata ist dazu zu rechnen – und Fuge so komponiert, daß sie in sich Bestand haben.

 

Die Toccata beginnt mit einem langen zweistimmigen Kanon über einem Orgelpunkt. Nach einem modulierenden Pedalsolo folgen Kanon und Pedalsolo in der Dominanttonart. Nach abschließenden Akkorden beginnt der eigentliche Hauptteil :

Ein viertaktiges Modell wird sequenziert und durch zwei kräftige Kadenzpartien abgeschlossen; es folgt ein Trio, das aber aus dem gleichen Material gearbeitet ist. Dieser gesamte vielgestaltige Komplex wird dann leicht verändert noch dreimal von anderen Tonstufen aus sequenziert.

 

Die Fuge ist eine Doppelfuge. Erst wird ein gesangliches Thema durchgeführt, das ein Kenner unter Bachs Zeitgenossen unschwer einem bekannten Typus zuordnen konnte und das dennoch zugleich eine unverwechselbare Gestalt hat; seine Verarbeitung in der Fuge führt zu einem Charakter von großer Erhabenheit.

Nach einem deutlichen Schluß läßt dann das zweite Thema, ein spielerisch bewegtes, scheinbar eine neue Fuge beginnen. Nach einer weniger deutlichen Kadenz in der parallelen Molltonart werden im dritten Teil, der in die Haupttonart zurückführt, beide Themen deutlich hörbar kombiniert.

Hans Peter Simonett