César Franck gehört zu den einigermaßen bekannten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Seiner Symphonie begegnet man immer wieder in den Konzerten der bedeutenden Orchester, auch in der Kammermusik gehören einige Werke zum festen Bestand. Am häufigsten aber werden wohl seine Orgelwerke zu hören sein. Als Organist und Lehrer am Conservatoire in Paris hatte sich Franck in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens hoher Wertschätzung erfreuen können. Mit seinen Hauptwerken wie den Opern und seinem hörenswerten Oratorium Les Béatitudes hatte er dagegen weniger Erfolg, denn er hatte eine höchst persönliche musikalische Sprache gefunden, an die man sich erst gewöhnen mußte. Sein Schüler Paul Dukas verwies darauf, daß kein Musiker Francks Autorschaft selbst bei einer unbekannten Phrase verkennen könne.
César Franck hat in seinem letzten Lebensjahr drei größere Orgelwerke, die ihrem Aufbau nach in die Tradition der symphonischen Dichtungen gehören, „Choral" genannt. Was dann innerhalb der Komposition in a-moll unmittelbar als „Choral" empfunden wird, ist aber weder eine gregorianische Melodie noch ein neueres Kirchenlied. Der Komponist erfindet nach Art des Chorals seine eigene Melodie; da sie untextiert bleibt, ist das dann für den Hörer ein sehr persönliches Gebet. Es wird eingerahmt durch schnelle, unruhige Figurationen und dissonante Klangballungen, die abrupt ohne ihre logische Fortsetzung stehen bleiben. Die Melodiezeilen des „Chorals" erklingen immer ganz leise. In einem langen Mittelteil (adagio) wird in der Art einer Arie erst im Sopran, dann in der Mittelstimme ein ganz subjektiver Gesang dem ohnehin schon persönlichen „Choral" gegenübergestellt. Im virtuos gestalteten Schlußteil mit seiner großen Klangsteigerung werden die „Choral"-Melodie und die unruhige Figuration des Beginns miteinander verknüpft. Was anfangs ein Gegensatz war, ist nach der langen symphonischen Entwicklung zur Einheit geführt.
Das dreiteilige Werk aus Prélude, Fugue et Variation ist insgesamt eine besinnliche Komposition von hoher Lyrik. Das einleitende Prélude ist ein dreistimmiger Satz mit deutlicher Dominanz der Oberstimme. Diese Melodie weitet sich zu immer neuen Bögen, bei denen der Zuhörer schwerlich Wiederholung von Variation oder Fortspinnung gleich wird unterscheiden können.
Nach einer kurzen Überleitung in kräftigen Akkorden folgt eine Fuge, deren Thema, das fast immer anwesend ist, ähnlich der Melodie des Präludiums von innerer Dynamik lebt. Dies läßt vergessen, daß sich eine Melodie auf der Orgel nicht durch unterschiedliche Anschlagsart in der Lautstärke modifizieren läßt. Eine durch Auszierung der Mittelstimme gewonnene Variation des ersten Teils rundet das introvertierte Werk ab.
Boëllmann war am Ende seines kurzen Lebens in Paris als Virtuose und als erfolgreich werdender Komponist geschätzt. Die Suite gothique ist sein bekanntestes Werk geworden. Der Titel mag zuerst befremden, zumal auch das Menuett, ohnehin schon in einem Orgelwerk des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine ungewöhnliche Satzbezeichnung, auch noch als gotisch bezeichnet wird. Vergegenwärtigt man sich beim Hören jedoch optisch und akustisch die gotischen Kathedralen Frankreichs, wird der Titel schon verständlicher, hinzu kommen noch ungewöhnliche harmonische Wendungen im einleitenden Choral, die eine archaische Wirkung andeuten.
Man kann die ganze Komposition als illustrative Musik auffassen, in der geschildert wird, wie ein Beter in die Kirche geht, eine feierliche Prozession sieht, dann selbst betet und unter Orgelbrausen wieder die Kirche verläßt. Gleichzeitig ist das Werk aber unmittelbare und ernsthafte Musik. Wenn die Introduction mit großer Tongewalt zu Beginn einen Choral anstimmt, werden wir in den leisen Echopartien schon auf den persönlichen Bereich verwiesen, die subjektive Antwort auf den lauten allgemeinen Choral. Der unmittelbar anschließende zweite Satz hat zwar die Form eines Menuetts, der Charakter ist aber in seiner Verfremdung ganz weit vom Tanz entfernt, allerdings heiter-feierlich. Das Zentrum des Werkes ist nun der in den Rahmenteilen sehr langsame Satz: Prière à Notre Dame läßt als persönliches Gebet des Komponisten dem Interpreten wie dem Zuhörer dennoch den eigenen Deutungsraum. Die weitgespannten Melodiebögen haben einen innigen Ausdruck. Im dynamisch ausufernden Mittelteil wird das Bitten drängender, das Gefühl intensiver. Der letzte Satz, die virtuose Toccata behält den Gestus der immer zu wiederholenden Bitten bei, bis nach großer dynamischer Steigerung und harmonischer Komplizierung in der Kadenz der Moll-Charakter in einen strahlenden C-Dur-Akkord mündet.
Max Reger hat sich in den verschiedensten Kompositionsbereichen – mit Ausnahme der Oper hat er alle Gattungen der Tonkunst bearbeitet - immer wieder barocker Formen und Satztechniken bedient, besonders in der Orgelmusik. Sie bedeuten aber nur scheinbar eine Rückwendung. Denn trotz der Anlehnung an alte Vorbilder atmen die Kompositionen den Geist der expressiven Musik der Jahrhundertwende. Dem vom Wesen her statischen Orgelklang wird eine flexible Dynamik abgetrotzt, weniger durch vielfache Registerwechsel - derartiges stößt vor allem bei kleinen Orgeln schnell an Grenzen - als dadurch, daß sich der Eindruck der Lautstärkenänderung aus der wechselnden Dichte des Satzes und aus der harmonischen Entwicklung ergibt. Dem muß eine flexible agogische Spielweise entsprechen, d.h. die Bindung an ein starres metronomisch geregeltes Tempo wird weitgehend aufgegeben.
In seiner Sammlung von 12 Kompositionen op.59 hat er in dem Benedictus eine glückliche Synthese von moderner melodischer Gestaltung und (im Mittelteil) einer am Barock orientierten Fugentechnik gefunden. Der Titel weist auf die Intention hin, das Stück an der entsprechenden Stelle im Gottesdienst zu spielen.
Reger hat sein letztes großes Orgelwerk, Fantasie und Fuge in d-moll. „Meister Richard Strauß in besonderer Verehrung" gewidmet. Seine Widmungen hat Reger durchaus mit Bedacht ausgesprochen, und wenn er dem führenden Komponisten der Oper und der symphonischen Dichtung nun ein Orgelwerk zueignet, so ist damit programmatisch ausgedrückt, daß er die Orgel keineswegs mehr im Schatten der bedeutenden Musikentwicklung seiner Zeit stehen sieht.
Auch wenn der erste Teil des Werkes Fantasie heißt, also auf eine freie Form hinweist, liegt ihm doch eine überschaubare Gliederung zugrunde:
Die Fuge beginnt langsam mit einem Thema von starken Intervallspannungen. Obwohl das Thema fast ständig anwesend ist, vielfach sogar in der jeweils obersten Stimme, hört man keineswegs eine Variationsfolge über diese Melodie, sondern eine Entwicklung, die jeweils in den thematischen Bogen eingehüllt ist. Der zweite Teil hat ein eigenes kontrastierendes Thema, spielerisch - kapriziös. Im letzten Teil werden beide Themen kombiniert; starke harmonische Spannungen und gewichtige Akkordballungen führen zum Schluß.
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