Passionsspiel
in MATER DOLOROSA, Berlin-Lankwitz
Passionsspiele
kennt man aus Oberammergau in Oberbayern und Erl in Tirol. Gestiftet
wurden sie auf Grund von Gelübden nach Rettung aus großer
Bedrängnis von den frommen Land-leuten im ausgehenden
Mittelalter.
Biblios
und Evangelion
Aber hier
in MATER DOLOROSA, in Berlin, im Computerzeitalter, nach vielen
„Historienschinken“, nach dem brutal realistischen
Passions-Film von Mel Gibson? Mehr aus Höflichkeit machte ich
mich auf den Weg, um mir das Passionsspiel in unserer Kirche
anzuschauen, gestaltet von Jugendlichen, die „fürs
Krippenspiel zu alt geworden waren“. So drückte sich die
Mutter des Hauptdarstellers aus.
Das letzte
Abendmahl
Als
das Licht in der Kirche ausging und die Orgel mit dem Vorspiel des
Chorals „O Haupt voll Blut und Wunden“ von Bach das Spiel
einleitete, waren schon fast alle meine Zweifel zerstoben: der
ergreifende Choral von J. S. Bach schuf den meditativen Hintergrund,
der sofort die zahlreichen Zuschauer in den Bann zog.
Im
Mittelgang der Kirche hatte man einen Laufsteg aufgebaut, der als
Bühne diente. Beleuchtet wurden die Szenen mit Schein-werfern
von einem mobilen Gerüst aus, das unter der Orgel im
Eingangsbereich aufgebaut war.
Die
Erweckung des Lazarus bildete den Auftakt des Spiels, es folgt der
Einzug Jesu in Jerusalem. In der nächsten Szene salbt Maria
Magdalena die Füße Jesu und Judas verhandelt mit den
Hohepriestern um den Lohn für seinen geplanten Verrat. Wohltuend
die moderne Auffassung dieser problematischen Gestalt, die in der
Vergangenheit so oft dämonisiert wurde. Judas ist enttäuscht,
daß Jesus offensichtlich keine politischen Interessen hat. Und
als „Buchhalter“ der kleinen Gemeinschaft muß er
auf das Geld achten.
Jesus vor
Pilatus
Bis
auf wenige Ausnahmen tragen die Mitwirkenden lange weiße
Gewänder.
Halstücher
in verschiedenen Farben sind das sparsame Unterscheidungsmerkmal. Aus
der Menge der handelnden Personen heben sich durch ihr Kostüm z.
B. Herodes und Pilatus ab.
Der
Autor Ansgar Vössing hat die Texte dem Alten und Neuen
Testament entnommen. Zwei Lektorinnen am Ambo, Biblios und Evangelion
genannt, zitieren sie im Licht von Kerzen. Freier gestaltet ist die
Verhandlung des Judas mit den Hohen Priestern.
Ins
Spiel verwoben wurden lateinische Hymnen aus der katholischen
Liturgie der Karwoche. Bewundernswert die Leistung des Chores, der
die lateinischen Hymnen auswendig darbot und z. B. Pilatus, der als
Römer natürlich nur ausführlich lateinisch
disputierte.
Beklemmend
die nur angedeutete Geißelung, Kreuzweg und Kreuzigung.
Geradezu
raffiniert die Darstellung des Lanzenstichs bei der Kreuzigungsszene:
Mit Hilfe des Scheinwerfers wird die Lanze grell beleuchtet und ihr
Schatten scheint den mittelalterlichen Corpus des Kreuzes im
Altarraum zu durchbohren.
Jesus nimmt das
Kreuz auf sich
Die
Musik hat großem Anteil an diesem Passionsspiel: teils ist das
Bläseremsemble, teils ein kleines Orchester, Soli oder die
Orgel beteiligt, um Szenen mit passender meditativer Musik
verschiedener Komponisten auszuschmücken. Sehr ausdrucksstark
der Aufschrei: „Jesus cadit!“ („Jesus fällt!“)
gesungen von Markus Bautsch, aus der „Via Crucis - Der
Kreuzweg“ von Franz Liszt.
Ein
Glücksfall ist der Darsteller des Jesus, Alexander Linden: er
ging voll und ganz in seiner schwierigen Rolle auf. Durch das
halblange Haar und den Bart wirkt er als sei er einem Gemälde
entstiegen. Eindringlich die Angst im Garten Gethsemane, seine
Enttäuschung über die schläfrigen Jünger. Seine
Darstellung bewirkte nachhaltige Erschütterung bei vielen der
Zuschauer. Er hat mit seiner Leistung Maßstäbe gesetzt.
Der
Autor Ansgar Vössing hatte schon lange den Wunsch, in Mater
Dolorosa ein Passionsspiel aufzuführen. Ganz bewußt hat er
den Text auf die Schriftstellen im Alten und Neuen Testament
beschränkt und vermeidet so, das ernste Thema mit unpassenden
Stilmitteln zu banalisieren. Die knappen Aussagen lassen jedem
Zuschauer Raum zu meditativer Betrachtung.
Es
war nicht einfach, diese Idee eines Passionsspiels umzusetzen. Die
jungen Darsteller mußten zunächst von dem Projekt
überzeugt werden – da waren die Eltern gefordert. Junge
Leute haben ein reiches Angebot an Möglichkeiten, die Freizeit
zu verbringen. Nicht ohne weiteres gehört auch die
Auseinandersetzung mit der Passion Christi dazu.
Als
die Vorbereitungen im Januar 2005 begannen, betrat man Neuland.
Gemeinsam wurde das Spiel entwickelt, die schwierige bildliche
Umsetzung des komplexen Geschehens. Einerseits durfte die Produktion
nur wenig kosten, andererseits sollte das Ergebnis weder Kitsch noch
Grusel à la Hollywood sein. Ziel des Unternehmens war einzig
und allein, Hilfestellung zu einer meditativen Auseinandersetzung mit
den Texten zu geben, die die bestürzenden Ereignisse um Jesus
für die Nachwelt überlieferten.
Geduldig
mußten viele logistische Probleme gelöst und technische
Mitarbeiter gewonnen werden. Freundliche ältere Damen aus der
Gemeinde fungierten als Kostümschneiderinnen.
Die
Gewänder wurden auf dem großen Tisch im Pfarrhaus
zugeschnitten.
Den
Laufsteg, der als Bühne diente, stellte eine Schule zur
Verfügung. Aber die vielen schweren Einzelteile zu
transportieren bedeutete eine ziemliche Herausforderung. Zudem hatte
die Schule Sorge, daß sie das teure Gerät in einwandfreiem
Zustand zurückbekam.
Es
war ein gewaltiger Aufwand an Zeit, Kraft und Fantasie nötig.
Und da keiner der am Projekt „Passionsspiel“ Beteiligten
in Geld für seinen Einsatz entlohnt wurde, war – wie immer
im kirchlichen Bereich – Idealismus gefragt. Und die jungen
Leute haben bewiesen, daß sie davon doch eine Menge aufbringen
können - mit einem beträchtlichen Nutzen für die
Gemeinde und sicher auch für sich selbst. Die jungen Menschen
waren gefordert und haben sich voll eingebracht.
Ursula
Storck
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