Katholische Pfarrkirche Mater Dolorosa

Berlin - Lankwitz, Kurfürstenstraße 59 Sonntag, 4. September 2005, 17.00 Uhr

KIRCHENKONZERT

Johann Sebastian Bach

1685-1750 Präludium und Fuge e-moll für Orgel, BWV 548

Partita E-Dur für Violine solo, BWV 1006

Preludio - Loure - Gavotte en Rodeau - Menuet I / II - Bourree - Gigue

Sonate G-Dur für Violine und Gb., BWV 1021

Adagio - Vivace - Largo - Presto

Max Reger

1873- 1916

Largo für Violine und Orgel, op. 93

aus der „Suite im alten Stil"

Phantasie und Fuge für Orgel über den Namen B-A-C-H, op.46

Daniel Stabrawa,Violine 

Hans Peter Simonett,Orgel

Moll muß nicht traurig sein! Ein laienhaftes Musikverständnis, nach dem Musik in Dur fröhlich und Musik in Moll traurig sei, ist zwar im Kern gar nicht so unzutreffend, der Differenziertheit des Erlebnisgehaltes von großer Musik kann diese Gegenüberstellung aber nicht genügen. Gerade bei Bach findet sich für vielfältige Ausdrucksbereiche die Molltonart, hauptsächlich wegen ihrer harmonisch reicheren Anlage.

Präludium und Fuge in e-moll ist ein Werk von hohem Ernst und großer Reife. Entstanden ist das Werk wahrscheinlich nach der Matthäuspassion, also in einer Zeit, als Bach alle Mittel zu großem dramatischen Ausdruck zur Verfügung standen.

Bei Präludien und Fugen, die deutlich aufeinander bezogen sind, ist das Präludium meist virtuoser, spielfreudiger, deshalb tragen Präludien teilweise auch die Bezeichnung Toccata. Die Fugen sind aufgrund ihrer strengeren Stimmführung dann meist kantabler. Bei diesem Satzpaar in e-moll ist es umgekehrt. Schon im Präludium ist die Ausarbeitung sehr polyphon, wir hören ein dichtes Gewebe selbständiger Stimmen. Die Form ist übersichtlich, der Wechsel von abgewandelten Wiederholungen des Ritornells und deutlichen Kontrastabschnitten wirkt im emotionalen Sinne dynamisch.

Die Fuge trägt im angelsächsischen Bereich den Beinamen „ Wedge"; denn wie ein Keil weittet sich das Thema, vom Grundton ausgehend, bis zur Spanne einer Oktave. Nach einem langen ernsten Fugenabschnitt erleben wir dann einen regelrechten Ausbruch an Virtuosität, wie wir ihn eher in freien Toccaten erwarten. Allerdings wird diese für eine Fuge so ungewöhnlich deutliche Virtuosität nicht nur mit schnellen Läufen, sondern auch mit ganz individuellen Figurationen bestritten. Immer wieder tritt aber das Thema - wirklich wie ein „Keil" - in den virtuosen Trubel. Am Ende, und auch das ist ungewöhnlich, wird der erste lange Abschnitt vollständig wiederholt.

In Deutschland gab es eine Tradition, dem an sich für die einstimmige Melodie geeigneten Streichinstrument, vornehmlich der Geige, dennoch mehrere Stimmen abzutrotzen. Bei geschickter Anlage lassen sich nämlich durch Doppelgriffe zwei Stimmen darstellen; wenn aber durch Arpeggieren drei oder gar vier Töne jeweils zu Akkorden zusammengefaßt werden sollen, dann muß der Spieler die Töne so darstellen, daß der Hörer die stimmführungsmäßige Verbindung in seiner Vorstellung ergänzen kann. Bach stellt an den Ausführenden bis dahin nie gekannte Anforderungen, dennoch stehen die spieltechnischen Schwierigkeiten nicht im Dienste virtuoser Brillanz, vielmehr scheinen sie unumgänglich zur Darstellung der weitgespannten musikalischen Ideen.

Bach hat in dieser Art sechs bedeutende Werke für die Violine ohne die übliche Generalbaßbegleitung geschrieben, drei Sonaten und drei Partiten. Die Sonaten folgen der Tradition der italienischen Kirchensonate, die Partiten sind dem Kammerstil verpflichtet. Sie können aber ohne Mühe in den geistlichen Bereich integriert werden, denn die Stilisierung der ursprünglichen Tanzcharaktere ist so weit getrieben, daß diese in ihrer Struktur und Vergeistigung Bachs instrumentaler Kirchenmusik in nichts nachstehen.

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Die Partita beginnt mit einem umfangreichen Präludium, das vom Aufbau und von der motivischen Verarbeitung her mit den großen Präludien für das Klavier oder die Orgel konkurriert, nur daß Bach hier die ungleich größere Schwierigkeit zu meistern hatte, das mehrstimmig gedachte Geschehen in eine einstimmige Figuration zu bannen.

Der zweite Satz beginnt mit einer echten zweistimmigen Imitation wie eine Fuge, einige Takte später wird der Satz dreistimmig.

Es folgen fünf weitere Sätze, deren Affektgehalt durch die rhythmischen Eigenarten bestimmt sind, die den früheren Tänzen entsprochen haben.

Die Sonate für Violine und Generalbaß folgt in ihrer Anlage dem Typus der italienischen Kirchensonate, allerdings weitet Bach die Sätze beträchtlich und vertieft ihre Ausdruckskraft. Die Violine hat in den langsamen Sätzen über dem relativ ruhigen Baß eine rhythmisch sehr individualisierte Melodie von hoher Expressivität zu spielen. Die beiden schnellen Sätze entfalten das virtuose Element, der letzte Satz tendiert dabei zur Fuge.

Max Reger hat in seinem reichen Schaffen oft auf alte Form- und Satztechniken zurückgegriffen. In seiner „Suite im alten Stil" beziehen sich die schnellen Ecksätze leicht erkennbar auf Bach. Der langsame Mittelsatz, der hier in Regers eigener Bearbeitung für Violine und Orgel erklingt, ist im modernen expressiven Stil geschrieben: Das ungewöhnlich langsame Tempo wird durch die dichte, enge Harmoniefolge intensiv gefüllt, die melodischen Phrasen sind von großer Spannung, durch ihre ungleiche Länge tendieren sie zur musikalischen Prosa, also zur individuellen Gestaltung auch im Detail.

Als Reger im Februar des Jahres 1900 seine große Huldigung für Bach schrieb, stand sein eigener Stil gefestigt da. Für die Orgel hatte er neue Ausdrucksbereiche erschlossen. Das Instrument, bei dem im 19Jahrhundert meist vergeblich die Annäherung an die Ausdruckspalette des Orchesters versucht worden war, erwies sich bei ihm als fähig, den expressiven Stil der Jahrhundertwende darzustellen.

Die Buchstabenfolge im Namen von Bach läßt sich unmittelbar als Tonfolge darstellen, der Name ist also auch im musikalischen Sinne hörbar. Bach selbst hat seinen Namen auf diese Weise aber erst am Ende seines Lebens in dem Schlußsatz der „Kunst der Fuge" als Thema verwendet. Beethoven hatte, wie wir aus seinen Kompositionsskizzen wissen, zeitweilig den Gedanken, eine Ouvertüre über B-A-C-H zu schreiben. Schumann hat Fugen für die Orgel und Liszt hat eine große Phantasie mit Fuge über diese Tonfolge geschrieben. Reger stellte sich also in eine Traditionskette mit diesem Werk. Formen und Satztechniken zeigten bei ihm mit Präludien, Fugen, Kanons etc. ohnehin einen starken Bezug zu längst vergangenen Stilen. Auf der anderen Seite nutzt er in den gleichen Werken zuvor ungeahnte harmonische Kühnheiten und neuartige thematisch dichte Verarbeitungen, so daß man ihn keineswegs als Historisten abtun konnte.

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Die Tonfolge B-A-C-H gehört aufgrund ihrer Chromatik (a-b-h-c) keiner Tonart an, sie läßt sich aber in vielfältige harmonische Verbindungen bringen. Insofern war sie für Regers harmonisch weit ausgreifenden Stil auch kompositionstechnisch anregend. Diese Tonfolge durchzieht auf verschiedenartige Weise das ganze Werk. Arn Beginn wird, gleichsam als Motto, eine einprägsame Akkordfolge durch die thematischen Töne (B-A-C-H) im Sopran zusammengehalten; allerdings ist das harmonische Übergewicht so stark, daß viele Hörer diese Töne kaum als Melodie wahrnehmen werden. Dann durchzieht die Tonfolge gleichsam als Kolorit in allen möglichen Sequenzierungen und Umformungen den ganzen Satz. Eine andere Technik zeigt der Mittelteil der Phantasie; er ist über einem Ostinato, also der ständigen Wiederholung, von B-A-C-H im Baß aufgebaut. Diese Tonfolge kann aber auch kantable Melodie sein, am Ende der Einleitung wird sie nämlich ganz leise im emphatischen Sinne zu „dem Thema".

Die Phantasie hat trotz ihres freien rhapsodischen Charakters - am Beginn steht als Interpretationsanweisung: quasi improvisatione - einen ganz klaren symmetrischen Aufbau, der bei einiger Kenntnis des Werkes die Übersicht gewährleistet. Der dynamische Aufbau ist bis auf den ohnehin leisen Mittelteil in den anderen vier Abschnitten analog: Jeweils in der Mitte gibt es eine plötzliche Rücknahme der Lautstärke, die teilweise wie ein Einbruch erfahren wird. Wiederholungen vermeidet Reger. Die korrespondierenden Abschnitte stellen jeweils eine Weiterentwicklung, eine Steigerung dar.

Gliederung der Phantasie:

I Einleitung - II Entwicklung a - III Ostinato - IV Entwicklung b - V Schlußteil

Die Fuge ist eine fünfstimmige Doppelfuge. Der erste Teil hebt nach dem kraftvollen Schluß der Phantasie ganz verhalten an.

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Nicht nur Bewegung und Lautstärke sowie die harmonische Dichte nehmen zu, sondern auch das Grundtempo wird ständig angezogen. Das zweite Fugenthema setzt dann schon mit viel größerer Bewegungsintensität ein. Im Laufe der weiteren Steigerung werden später beide Themen kombiniert.

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