37. Steglitzer
Kirchenmusiktage
K
a t h o l i s c h e P f a r r k i r c h e
M
a t e r D o l o r o s a
Berlin
- Lankwitz, Kurfürstenstraße 59
Sonntag, 29.
Oktober 2006, 17.00 Uhr
O
R G E L K O N Z E R T
Ist
Moll wirklich traurig?
Werke
in Moll von Johann Sebastian B a c h
Präludium
und Fuge a-moll, BWV 543
Adagio
c-moll aus der Triosonate Nr.1, BWV 525
Präludium
(Phantasie) und Fuge g-moll, BWV 542
Andante
h-moll aus der Triosonate Nr.4, BWV 528
Präludium
und Fuge f-moll, BWV 534
Largo
a-moll aus der Triosonate Nr.5, BWV 529
Präludium
und Fuge h-moll, BWV 544
________________________
H
a n s P e t e r S i m o n e t t
„Ist
Moll wirklich traurig?“ – Natürlich kann Moll
traurig wirken, doch keineswegs immer klingt es so, weder bei Bach
noch bei anderen Komponisten. Die heitere Melodie von Bachs
„Badinerie“ in h-moll hat es ja schon zum Klingelzeichen
für das Handy gebracht. Ein Musikverständnis, nach dem
Musik in Dur fröhlich und Musik in Moll traurig sei, ist zwar im
Kern zutreffend, aber der Differenziertheit von großer Musik
kann diese Gegenüberstellung nicht genügen. Gerade bei Bach
findet sich für vielfältige Ausdrucksbereiche die
Molltonart, hauptsächlich wegen ihrer reicheren harmonischen
Möglichkeiten.
Die
vier Präludien und Fugen offenbaren dies in ihren ganz
verschiedenen Charakteren. Traurig ist allenfalls das Werk in f-moll,
die anderen kann man vielleicht als ernst bezeichnen, aber mit derart
einfachen Festlegungen trifft man nicht wirklich den Charakter der
Kompositionen. Bachs Zeitgenossen sprachen in Anlehnung an die
vielfältigen Gefühlsbereiche in der Oper auch in der
Instrumentalmusik von Affektdarstellungen, die natürlich
ebenfalls sehr unterschiedlich ausfallen sollen.
Zwischen
den vier gewichtigen Satzpaaren von Präludium und Fuge erklingen
drei langsame Sätze aus den Triosonaten für die Orgel. Sie
sollen in diesem Konzert jeweils einen meditativen Bereich der Ruhe
schaffen zwischen den bewegteren und größeren Werken.
Gleichwohl handelt es sich um äußerst durchgearbeitete
Sätze von hoher emotionaler Dichte. – Nach barockem Brauch
hätte ich als Kontrast eigentlich Sätze in Dur wählen
müssen. Ich habe auf diese Möglichkeit verzichtet, um die
große Ausdruckspalette in Molltonarten zu verdeutlichen. Ein
Kontrast zu den Präludien und Fugen ergibt sich dennoch durch
das ruhige Tempo, und durch die Tonartenwahl, die jeweils Abstand zu
den größeren Formen schafft. Bei diesen drei Trios sollte
sich der Zuhörer dem intensiven Gewebe der beiden Oberstimmen
überlassen, wie es sich über dem viel ruhigeren Baß
entfaltet.
Bach
fordert auch für die Klavier- und Orgelmusik eine „cantable“
Art des Spielens, also eine Orientierung am Singen. Zugleich soll der
Hörer die Instrumentalmusik wie eine Rede auffassen, eine Rede
ohne Worte. Beide Begriffe, „cantabel“ und „rhetorisch“,
bezeichnen den Bereich, in dem sich der Mensch mit seiner Stimme
äußert. Diese Orientierung an der unmittelbaren
menschlichen Stimmäußerung gilt auch bei der
Interpretation von Bachs Orgelmusik. Denn Bach folgt nicht nur in der
Gliederung der Komposition rhetorischen Gesetzen, auch einzelne
Themen und bedeutende Motive sind wie Gesangsbögen oder wie
Sprechgesten zu hören.
Präludium
und Fuge a-moll, BWV 543
Der Zusammenhang zwischen Präludium
und Fuge ist hier sehr eng. Häufig kann man ein Präludium
auch ohne die anschließende Fuge spielen, hier allerdings hat
das Präludium deutlich vorbereitende Wirkung: ,,Vorspiel”.
Die lange einstimmige Figuration zu Beginn ist voller Spannung durch
den Rhythmus, ihre Energie löst sich vorläufig in einem
Akkordtriller. Aus ihm geht der zweite Teil hervor, in dem der
Ausdruck – in der barocken Denkweise also der Affektgehalt –
durch neue Figurationen bereichert wird.
Das
Thema der Fuge ist nicht nur lang, sondern auch
rhythmisch vertrackt, weil vom 2. Takt an die Tonfortschreitung
jeweils auf dem unbetonten Wert erfolgt.
Die beiden Hälften des Themas
verwirklichen gleichsam zwei Sprech-Gesten mit unterschiedlicher
Artikulation und prägen damit den Charakter der Komposition.
Die Gliederung der Fuge ist
großflächig; sie ist leicht zu erfassen. Die Steigerung am
Schluß entsteht auf eine interessante Art: Nicht durch
zusätzliche Töne, sondern durch Verlagerung der Energie in
den Bass, in ein Pedalsolo, wird die dominantische Spannung
vergrößert; sie schwingt aus in schnellster Bewegung im
Manual und wird fast abrupt in knappen Akkorden zum Schluß
geführt.
Präludium
(Phantasie) und Fuge g-moll, BWV 542
In
einer Phantasie - so schreibt J. G. Walther 1732 in seinem
Lexikon – könne der Künstler spielen, „wie es
ihm einfällt, ohne sich an gewisse Schranken und Beschaffenheit
des Takts zu binden.“ Dennoch ist Bachs Phantasie in
g-moll insgesamt sorgsam disponiert – trotz etlicher in
diesem Sinne frei gestaltet erscheinender Partien und trotz der nicht
nur für die damalige Zeit ungemeinen Kühnheit in den
Harmoniefolgen. Denn bei Bach herrscht auch noch in der expressivsten
Affektdarstellung Ordnung und Übersichtlichkeit.
Die
dramatische Entwicklung des Satzes beruht hauptsächlich auf dem
Gegensatz von schnellen Figurationen und schroffen Akkordballungen;
sie wird durch das retardierende Element von zwei ruhigen Partien mit
Imitationen noch offensichtlicher. Die großen Spannungen werden
in dem Satz selbst nicht gelöst. Ein chromatisch aufsteigender
Baßgang unmittelbar vor dem Schluß wirkt mehr wie eine
nicht zu beantwortende Frage als wie die Hinführung zum
Schlußakkord.
Die
Lösung erfolgt in einer ebenbürtigen virtuosen
vierstimmigen Fuge, von der ein zeitgenössischer
Kopist meinte, es sei das „beste Pedalstück von Herrn Joh.
Seb. Bach." Kann man dem Organisten zuschauen, bemerkt man in
der Tat eine erhebliche „Beinarbeit“.
Die
Form der Fuge wird für den Hörer übersichtlich
durch Kadenzen und eine unterschiedliche Dichte in der Stimmenzahl
(einige Abschnitte sind nur zweistimmig). Das Thema beherrscht aber
als subjectum – so nannte man es damals – alle
Abschnitte. In einer alten Schultradition hat man das Thema etwas
respektlos textiert: „Das Kaffeewasser kocht / das Kaffeewasser
kocht / nimm den Deckel ab / das Kaffeewasser kocht / nimm den Deckel
ab / das Kaffeewasser kocht.“. Durch diesen Spaß wird die
plastische Struktur der Motivgruppen sofort deutlich. Was Bach aus
diesem Thema gestaltet, ist natürlich unabhängig von jedem
vordergründigen Spaß; denn er zieht es uns in den Bann
einer großartigen Entwicklung.
Andere
Motive sind dem Thema deutlich untergeordnet, z.B.:
Präludium
und Fuge f-moll, BWV 534
Dieses
Werk kann man im Sinne des fragenden Mottos dieses Konzertes nun
schon als traurige Musik hören. Allerdings ist damit der
Charakter nur einseitig begriffen, denn in der Fuge gibt es den
Ausblick auf eine große Weite, trotz des grundsätzlichen
Ernstes.
Das
Präludium besteht nur scheinbar aus gleichartigen
quasi mechanischen Figurationen, denn die Figuren sind wie eine
Sprache erfunden, nur eben ohne Worte.
Die
Fuge hat schon durch ihre Fünfstimmigkeit eine
erhebliche Dichte, dazu kommt gleich im Thema eine große
melodische Spannung durch dessen weiten
Ambitus
und durch den großen Sprung abwärts nach dem dritten Ton.
Auflockerung – kaum aber Kontrast – erfährt der
Verlauf durch den Fortfall vom Baß sowie durch sonstige
Stimmenreduzierung und durch die gelegentliche Aufhellung nach Dur.
Präludium
und Fuge h-moll, BWV 544
Wer
Bachs Präludium und Fuge in h-moll hört, hat den sicheren
Eindruck von einer ganz klaren Affektdarstellung; diese in Worte zu
fassen, will aber nicht gelingen; das zeigen die vielen
verschiedenartigen Charakterisierungen in der Bach-Literatur und die
unterschiedlichen Aufführungsstile im Laufe der Zeit. Das
Präludium ist trotz seiner beträchtlichen
Länge und Ausdrucksintensität gut auffaßbar, denn es
ist bei aller Differenziertheit klar gegliedert. Der Hauptteil kehrt
als Ritornell in abgewandelter Form viermal wieder, dabei werden
verschiedenen Tonartebenen berührt. Dazwischen erklingen als
Kontrast drei untereinander ebenfalls ähnliche Soloteile (ohne
den Baß des Pedals), die jeweils imitatorisch wie eine Fuge
beginnen. Die melodische Gestaltung der Stimmen ist ähnlich der
Führung der Vokalstimme in einer der kunstvollen Arien in Bachs
Kantaten, wo sich obligate Instrumentalstimme und die Vokalstimme oft
sehr angleichen.
Der
erste Takt ist wie ein Motto, aus dem dann die weitere Entwicklung
abgeleitet wird.
Der Interpret muß deshalb im
„cantablen“ Vortrag die „sprechenden“
Formulierungen der spätbarocken Klangrede deutlich werden
lassen.
Die
Fuge gehört zu den besten Fugen von Bach, obwohl er
in ihr auf kontrapunktische Kunststücke wie Engführung des
Themas oder auf dessen Umkehrung, Vergrößerung etc.
verzichtet. So wie das Fugenthema in ruhigem Stufengang ei-
nen
einheitlichen Bogen spannt, so stellt der ganze Satz trotz der
dreiteiligen Anlage eine durchgehende Entwicklung dar, die nicht
durch gewichtige Kontraste aufgehalten wird. Der Mittelteil wirkt
trotz der durchlaufenden Sechzehntelbewegung aber leichter, denn es
fehlt der Baß, zudem gibt es eine „schöne Insel
klanglicher Ruhe“, wie es ein Kenner paradox und zugleich
treffend ausgedrückt hat. Von dort aus gewinnt die innere
Bewegung dann zunehmend über das Thema die Energie zu der
Verdichtung im dritten Teil.
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