Gregorianischer Choral

 

Das Kapitel 6 (Die Kirchenmusik) der Konstitution über die heilige Liturgie des zweiten Vatikanischen Konzils (Sacrosanctum Consilium) beginnt mit den Worten:

Die überlieferte Musik der Gesamtkirche stellt einen Reichtum von unschätzbarem Wert dar.

Im weiteren, im Artikel 116, finden wir den Hinweis auf die Stellung des Gregorianischen Chorals in der Liturgie der katholischen Kirche:

Die Kirche betrachtet den Gregorianischen Choral als den der römischen Liturgie eigenen Gesang; demgemäß soll er in ihren liturgischen Handlungen, wenn im übrigen die gleichen Voraussetzungen gegeben sind, den ersten Platz einnehmen.

Andere musikalische Formen mit mehrstimmigem Gesang und Musikinstrumenten sind ausdrücklich nicht ausgeschlossen, aber der Gregorianische Choral stellt die älteste überlieferte Musik dar, die uns heute weitgehend zuverlässig überliefert ist. Er schaut auf eine weit über tausendjährige Tradition zurück.

Diese Konstitution liegt inzwischen schon über vierzig Jahre in der Vergangenheit, dennoch ist der Anspruch auch heute noch aufrechterhalten, wie man in der Fünften Instruktion "zur ordnungsgemäßen Ausführung der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die heilige Liturgie" aus dem Jahre 2001 im Artikel 28 nachlesen kann. Der Gregorianische Choral wird darin sogar als unvergleichlicher Schatz bezeichnet. Zitat: Denn dieser Gesang trägt in höchstem Maße dazu bei, den menschlichen Geist zum Übernatürlichen zu erheben.

Es ist umstritten, ob Papst Gregor der Große als Urheber wenigstens einiger Gregorianischer Gesänge gelten darf. In jedem Fall hat er um 600 nach Christi Geburt die Gesänge gesammelt und geordnet. Eine für die damaligen Verhältnisse gewaltige Aufgabe, die ihm als Namensgeber der Gesänge bald nachhaltigen Ruhm eingebracht hat.

Im Mittelalter sind die Gesänge zunächst ausschließlich mündlich, aber offenbar sehr zuverlässig tradiert worden. Die meisten Mönche haben den Gregorianischen Choral das ganze Mittelalter hindurch auswendig gesungen. Karl der Große hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich die Gesänge im ganzen Frankenreich verbreitet haben. In diesem Zusammenhang wurde es im neunten Jahrhundert üblich, die Melodien durch die Niederschrift von sogenannten Neumen festzuhalten, was die Erinnerung an auswendig gelernte Gesänge und somit auch die Verbreitung derselben wesentlich vereinfachte und somit erst ermöglichte.

Große Verdienste sind dem Benediktiner Guido von Arezzo zuteil geworden, der eine die Tonhöhen betreffend genaue Darstellung von Melodien erfunden hat. Mit der sogenannten Solmisation lehrte er unzählige Sänger das sichere Absingen von Melodien, die er entweder an den Fingersegmenten seiner Guidonischen Hand anzeigte oder die von einem System von Notenlinien abgelesen werden konnten. In einem Brief an seinen Bruder, den Mönch Michael, beschreibt er dieses System, das der Ausgangspunkt unserer heutigen modernen Notation ist.

Im Verlauf der weiteren Jahrhunderte wurden die originalen Melodien jedoch immermehr verfälscht oder gingen sogar verloren. Es ist den Benediktinern aus Solesmes zu verdanken, dass der Gregorianische Choral heute weitgehend restauriert ist. Seit weit über hundert Jahren sind sie damit beschäftigt, die alten Melodien wiederherzustellen. Sie haben entsprechend den Anforderungen des zweiten Vatikanischen Konzils neue Choralbücher herausgegeben, aus denen heute weltweit gesungen wird.

Zwei wichtige Choralbücher sind das Graduale Romanum und das Graduale Triplex. Letzteres enthält neben der üblichen Notation zusätzlich die Neumen der ursprünglichen Handschriften. Dadurch ist dem geübten Sänger möglich, die Melodien genauer wiederzugeben, da die herkömmliche Notation, die unserer Notenschrift recht ähnlich ist, nicht alle Feinheiten darstellen kann. Auch die Choralschola der Gemeinde Mater Dolorosa in Berlin-Lankwitz singt nach diesen Büchern.

Die Melodien lassen sich in acht Kirchentönen kategorisieren, die wiederum in vier Tonarten zusammengefasst sind. Die geraden liegen etwas höher als die ungeraden, in den originalen Neumen ist allerdings keine absolute Tonhöhe vorgegeben. Auch neuere Lieder, die nicht dem Gregorianischen Choral zuzuordnen sind, verwenden diese Tonarten, wie viele Beispiele belegen.

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