Reise nach Warschau 18. - 25. 9.2004

Warschauer Impressionen…

- eine Reise in Polens Vergangenheit mit Ausblick in die Zukunft

Fortsetzung aus dem Novemberheft (2. Teil)

Nun der wesentlich uns Deutsche berührende Teil der Geschichte:

Am 1. Sept. 1939 begann das größte Desaster in Polens Geschichte. Nach vierwöchigem aussichtslosem Kampf war aus dem polnischen Staat das Generalgouvernement geworden, viele Polen kamen als Zwangsarbeiter nach Deutschland.

Die jüdische Bevölkerung wurde in Ghettos gepfercht. Fast 450 000 Juden - ca. 30% der gesamten Stadtbevölkerung - vegitierten mehr, denn dass sie lebten, auf einer Fläche von zunächst 307 ha (später wurde diese noch verkleinert); das entspricht einer durchschnittlichen "Wohndichte" von 146 000 Menschen auf einem Quadratkilometer, d.h. - um im Bild zu bleiben - durchschnittlich acht bis zehn Menschen "bewohnten" einen Raum!

Vielen wird das heroische Beispiel des Kinderarztes Janusc Korczak bekannt sein, der mit seinen Waisenkindern in das Ghetto und schließlich in den Tod des Vernichtungslagers Treblinka ging.

Am 19. April 1943 brach im Ghetto der jüdische Aufstand aus. Nach dessen Zusammenbruch im Mai 1943 wurde das Ghetto dem Erdboden gleichgemacht, vom "Umschlagplatz" - die deutsche Inschrift an der Mauer erinnert daran - wurden seine Bewohner in die umliegenden Konzentrations- und Todeslager getrieben.

Ein weiteres mahnendes Datum in der Geschichte der Stadt ist der 1. August 1944, als die polnische Untergrund-Armee in einem verzweifelten Kampf versucht, die deutsche Besatzung abzuschütteln.

Obwohl sowjetische Truppen sich bereits auf der östlichen Weichselseite befinden, greifen sie - aus leider allzu durchsichtigem Grund - nicht unterstützend in den blutigen Kampf ein, so dass der Aufstand am 2. Oktober 1944 nach 63 Tagen schließlich zusammenbricht. Danach folgt die systematische Zerstörung der Stadt, am Ende des Krieges zählt man von ehemals etwa 1,2 Mill. Einwohnern vor dem Krieg nur noch ca. 80 Tausend; gerademal ca. 15% der Vorkriegsbausubstanz war stehen geblieben …

Überall in Warschau werden wir an die schrecklichen Ereignisse, die diese Stadt über sich ergehen lassen musste, erinnert: Seien es die erschütternden Monumente, die den Ghettobewohnern wie auch den Aufständischen der Heimatarmee errichtet wurden, seien es aber auch die vielen, nur scheinbar stehengebliebenen und in Wirklichkeit rekonstruierten Gebäude und Skulpturen, deren jetziges Aussehen im schein-historischen Gewande uns vor Augen führt, was einmal Menschen in blindem Hass einander anzutun vermochten und wieviel Kraft zum Wiederaufbau aus der unzerstörbaren Erinnerung wuchs!

Mit Betroffenheit blicken wir auf das wieder errichtete Denkmal für den französisch-polnischen Pianisten und Komponisten Frederic Chopin, das man während der deutschen Besetzung in barbarischer Kulturvergessenheit eingeschmolzen und der Waffenproduktion zugeführt hatte. Wie Chopin es testamentarisch festgelegt hatte, wurde sein Leichnam in Paris beerdigt; sein Herz ruht jedoch in seiner Heimat in der Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau.

Unvergessen das Mahnmal des "Kleinen Aufständischen" in der Uniform eines bewaffneten Kindersoldaten in der Podwale-Str., historisch verbürgt durch die Beteiligung der Pfadfinderbewegung am Aufstand.

Nicht hoch genug einzuschätzen der Aufbauwille dieser geschundenen Stadt nach dem Krieg! Vielfach konnten Gebäude, ja ganze Straßenzüge nur aus dem Gedächtnis rekonstruiert werden, da diesbezügliche Pläne verschollen sind. Hilfreich waren beispielsweise die Stadtansichten Belottos (nach seinem Onkel auch Canaletto genannt); die oft unter Lebensgefahr vor der Besatzungsmacht verborgenen Gemälde dienten nach dem Krieg als Vorlage für den Wiederaufbau der Stadt.

Doch immer wieder wurde die neu gefundene Freiheit bedrängt!

Am letzten Tag unserer sehr informativen Reise standen wir vor dem Grab Jerzy Popieluszkos, jenes unerschrockenen Priesters, der sich in den Jahren des Sozialismus gegen die Regierung stellte und in seinen Predigten seine Hörer zu einem Leben im Geist der Wahrheit ermutigte. Die Umstände seines Todes dürften den meisten bekannt sein. Seine Peiniger und Mörder kamen übrigens bereits nach wenigen Jahren ohne einen Hauch von Reue wieder frei, sie änderten Namen, Wohnort und Aussehen. Die Befehlsgeber zu dieser Untat sind bis heute unbekannt …

Außerhalb der Mauern der Stanislaw-Kostka-Kirche liegt sein Grab, immer reich mit Blumen geschmückt. Auf der Fahne nahe dem Eingang stehen die Worte seines letzten öffentlichen Gebetes, als Mahnung an uns, in alle Zukunft gerichtet:

"Lasst uns beten, damit wir frei werden von Furcht und Angst, vor allem aber von dem Verlangen nach Vergeltung und Gewalt!"

Vieles von dem, was wir gesehen haben, ist nicht zu Papier gekommen, die Fülle der auf uns einströmenden Erlebnisse und Informationen war immens. Wer will und kann, möge für sich selbst - egal ob zu Hause oder vor Ort - diese bewundernswerte Stadt erkunden!

Werner Grünky

 

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