BÜCHERKISTE

Judith Hermann: "Sommerhaus, später" und "Nichts als Gespenster"

1998 tauchte aus dem Nichts eine junge Berliner Autorin mit ihrem Erzählungsband "Sommerhaus später" auf, der in höchsten Tönen von den berühmtesten Literaturkritikern gelobt und ein Riesenerfolg wurde. Vier Jahre später erschien "Nichts als Gespenster", eine Geschichtensammlung, ein Buch, auf das viele Leser gewartet haben.

Im ersten, kürzeren Band findet man neun kleine Erzählungen, im zweiten sieben längere. Insgesamt handelt es sich um eigenständige, nicht aufeinander bezogene Geschichten, weshalb eine Inhaltswiedergabe mir in diesem Fall schwer fällt.

Immer werden Episoden aus dem Leben verschiedener Charaktere geschildert, oft geht es um Liebe, um zwischenmenschliche Beziehungen und um die (unausgesprochene) Angst, etwas zu verpassen, aber andererseits auch den fehlenden Mut, etwas zu wagen.

Beeindruckend und überzeugend ist eigentlich nicht das, was die Autorin sagt, sondern das, was sie nicht sagt. Und wie sie es sagt. Sie lässt Raum und Leere, die füllen. Sich anfüllen mit den Gedanken und Gefühlen der Protagonisten sowie denen des Lesers. Sie erzählt klar und schlicht, fasziniert dadurch, dass etwas hinter dem steckt, was geschrieben ist, dass etwas verborgen bleibt und dennoch fassbar zu sein scheint. Sie schafft Ahnungen, sie verdeutlicht ohne zu benennen, sie gibt Richtungen vor, lässt den Leser jedoch den Weg alleine finden.

Ich habe beide Bücher innerhalb kürzester Zeit verschlungen. Und das ist erstaunlich, denn eigentlich würde es sich anbieten, immer mal wieder eine Geschichte bedächtig zu lesen und auf sich wirken zu lassen. Doch es gibt etwas Magisches an diesen Erzählungen, das mich gefesselt und begeistert hat - die schon erwähnte Stille in ihnen und um sie herum, die anregt zum Nach- und Weiterdenken und zum Interpretieren. Es sind Geschichten, die man immer wieder lesen kann und sollte, die sich entwickeln, die weiterleben und sich wandeln, Geschichten, die begleiten, die mich bestimmt noch eine Weile begeleiten werden und die ich auf jeden Fall noch mindestens einmal lesen muss!

Viel Spaß damit,

Cosima Kießling

 

"Ich habe mich an der Tür noch einmal umgedreht. Ich habe ein letztes Mal gedacht, zurückzugehen und zu dir zu kommen und mich neben dich vor deinen Fernseher zu setzen. Ich hätte den Fernseher ausgemacht, ich hätte dich angeschaut, es hätte ganz einfach sein können."

"Aber dieser Schlüssel liegt da nicht für mich. Das weiß ich auch. Er liegt da für diese eine Person, über die wir nie gesprochen haben, er liegt bereit für sie, wenn es soweit ist, wird sie sich auf die Zehenspitzen stellen, ihn ertasten, die Tür aufsperren, ihren Koffer neben dein Bett stellen und dich wecken. So ist es doch, nicht wahr? Du wartest. Du kennst sie nicht, diese Person, aber du weißt, sie wird kommen, und darauf wartest du, du sitzt und siehst die Eisblumen und wartest. Ich warte auch."

"Ich finde, wir haben gute Winter miteinander gehabt. War es einer, oder waren es mehrere? Ich weiß es nicht mehr, und du würdest sagen, es sei auch nicht wichtig. Wir hatten Schnee und klirrende Kälte, und immer, wenn ich gesagt habe, dass ich eigentlich gerne frieren würde, hast du so geschaut, als würdest du verstehen. [...] wir haben uns nichts versprochen, ich wollte das auch so, dennoch, entschuldige mich, verspüre ich eine Eifersucht auf alle Winter, die du haben wirst, ohne mich."

Judith Hermann: Sommerhaus, später. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000. S.99, S.107/8, S. 110.

 

"’Ich kann nicht damit aufhören zu denken, dass ich irgendwann und vielleicht schon bald jemandem die nächste Geschichte erzählen werde, eine Geschichte über dich.’ [...] Ich wünschte, er würde das nicht tun. Ich wünschte, er würde gehen. Er geht auch, nur noch nicht jetzt."

Judith Hermann: Nichts als Gespenster. S. Fischer Verlag GmbH,
Frankfurt am Main 2003. S. 271

 

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