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BÜCHERKISTE

Mikael Niemi: “Populärmusik aus Vittula”

 

Soeben habe ich die letzten Seiten dieses großartigen Buchs gelesen. Ein kleines Dorf in den 60er Jahren, ganz im Norden Schwedens an der Grenze zu Finnland. Ein kleiner Junge, Matti, der Erzähler, und sein bester Freund Niila. Viele Erwachsene, viel Alkohol, wenig Lebenserfahrung, Bandenkriege, Sprachverwirrung, Freundschaft, Entdeckung des Lebens und der Frauen. Liebe zur Popmusik und Bandgründung. Und das ist das Rezept für einen mitreißenden Roman, in dem es um das Heranwachsen dieser beiden Jungen und die Gründung ihrer Band in einer durch kindliche Phantasie und Wahrnehmung verzerrte Welt geht.

Auf einfühlsame, interessante, vertraute und gleichzeitig doch so fremde Weise taucht man in eine spannende, abenteuerliche, nordische Geschichte ein, von Alltag und Banalitäten bis hin zu kindlichen Hirngespinsten. Man gewinnt die Protagonisten lieb, schließt sie ins Herz, begleitet sie ein Stück ihres Lebens, hat daran teil und fiebert und fürchtet und leidet und freut sich mit ihnen.

Zu alledem ist das Buch so witzig, manchmal zum Schreien komisch, dass man viele Stellen laut vortragen müsste, dass es einfach nur Spaß macht zu lesen! Ich finde es sehr gelungen, sehr schön, anrührend, aber mit einer Leichtigkeit in einer bisweilen derben und ordinären (aber humorvollen!) Jungensprache geschrieben, dass man sich auf die Stunden am Tag freut, wo man Zeit dafür hat. Nicht umsonst hat dieser mit Abstand beste Roman, den ich in letzter Zeit gelesen habe, in Schweden monatelang den Platz eins auf der Bestsellerliste gehalten und sämtliche Rekorde gebrochen! Der ein oder andere meiner Familie und Freunde wird es als Geschenk von mir unter dem Weihnachtsbaum finden!

Viel Spaß nun schon mal vorab mit einigen Leseproben,

Cosima Kießling

“Großvater erklärte daraufhin mürrisch, dass die Elektrizität die lächerlichste Erfindung von allen sei, die aus dem südlichen Schweden heraufgekommen seien, [...] Binnen kurzem würde wohl auch der Geschlechtsverkehr durch Elektrizität ersetzt werden, da das doch eine schweißtreibende, anstrengende Angelegenheit sei und all so etwas bekanntermaßen heutzutage als altmodisch angesehen wurde.”

“Erkki sollte als Repräsentant der Waldsamen von Sattajärvi teilnehmen, und seine Aufgaben als Wettkampfaufsicht sollten von mir und Niila übernommen werden.

Sofort begannen wir mit der Verteilung des Getränks. Ich schenkte aus dem Kanister ein, während Niila die Becher reichte. Alle tranken unter kompaktem Schweigen zügig aus. Die nächste Runde folgte sogleich. [...] Alle schielten ihre Nachbarn an und murmelten, eine dünnere Pissmaische müsste man lange suchen, so was tränken die Babys in ihrer Heimatstadt schon in der Nuckelflasche. [...] Ich selbst nahm einen Schluck und bekam eine rohe Kartoffel in den Hals. Es schmeckte nach Hefeteig und war höllisch stark. [...] Die Stimmung wurde immer besser. Plötzlich brach ein eifriges Brabbeln auf Tornedalfinnisch aus. Am glücklichsten war wohl Erkki, der nur gnadenhalber dabei sein durfte, er fing an, allen persönlich mit Handschlag zu danken, bis Leipä ihn bat, doch die Schnauze zu halten und die Wettkampfkonzentration nicht weiter zu stören.

Wie immer brachte der Rausch die überraschendsten Persönlichkeitsveränderungen mit sich. [...]

Erkki kicherte und erklärte breiig, dass er noch nie in seinem ganzen Leben so blau gewesen sei. Und ob nun Sozi oder Kommunist, darüber musste noch nachgedacht werden, aber jetzt müsse er erst einmal pissen.”

“Wir legten wie die Verrückten in dem Halbdunkel da hinten los. Erkki gingen die Nerven durch, er begann auf alles zu schlagen, was sich bewegte, bis der Song doppelte Geschwindigkeit drauf hatte. Niila griff den Akkord in der falschen Tonart, und Holgeris Durchgang klang wie Nägel in einer Kiste. Und ganz vorn. Am Standmikrophon. Da stand ich.

Ich sang nicht, ich brüllte. Die Brunstlaute des Elchs. Der Todesschrei der Lemminge.”

“Etwas peinlich war auch, dass viele den zweiten Song am besten fanden. Einige waren dagegen der Meinung, der dritte sei der Beste gewesen oder vielleicht auch der erste. Dagegen schien niemand den vierten Song vorzuziehen, den Einzigen, bei dem wir richtig gespielt hatten. Wir hatten nicht den Mut, ihnen zu sagen, dass es alle vier Male das gleiche Stück gewesen war, nur in unterschiedlichen Stadien der Panik.”

Mikael Niemi: Populärmusik aus Vittula. 3. Aufl. April 2004, Wilhelm Goldmann Verlag München. S. 155, 206-212, 252/3, 255

 

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