Wir fahren nach „AB“

Im Christian-Schreiber-Haus in Alt Buchhorst haben Jugendliche seit 1933 ein Zuhause gefunden. In Nazi-Diktatur und realem DDR-Sozialismus konnten sie hier über den Glauben sprechen und Gleichgesinnte treffen. Heute ist die Schutzengelmadonna Ziel von Jugend-, Familien- oder Seniorenwallfahrten. Am kommenden Wochenende wird hier der Neubau feierlich eingeweiht. Wir lassen die Geschichte das Hauses und seiner Gäste revuepassieren. 

Jugendliche nennen den Ort bis heute „AB“. Der Glaube ist es in erster Linie, der Jahr für Jahr ungezählte Jugendliche und junge Familien hinausführt  zu dem Ort in herrlicher Landschaft. Hinaus an den Peetzsee. Hier, zwischen Erkner und Fürstenwalde, befindet sich das Christian-Schreiber-Haus. Es liegt direkt am Wald und wurde nach dem ersten Bischof von Berlin, Dr. Christian Schreiber, benannt. In „AB“ wird nicht nur Frömmigkeit gepflegt. Dort begegnen 
sich Jugendliche aus dem ganzen Erzbistum. Sie treffen sich hier nicht nur zur jährlichen Wallfahrt, sondern über das Jahr zu verschiedenen Begegnungen, Sommerlagern, Kursen. Ganze Generationen junger Katholikinnen und Katholiken lernten „AB“ kennen. Nicht wenige heute glücklich verheiratete Familienmütter und -väter  fanden hier den Partner fürs Leben. Wer heute mit ehemaligen „ABlern“ spricht, wird schnell spüren, daß sie hier ihren Glauben vertiefen lernten. Und immer wieder ist von fröhlichen Stunden die Rede, die in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten verlebt werden durften. 
In den Jahrzehnten der DDR wurde das Kürzel „AB“ für die Jugend im Berliner Osten, in Brandenburg und Vorpommern ein Begriff. „Man trifft sich in AB“, hieß es unter jungen Katholiken im Arbeiter-und-Bauern-Staat. Während der vom Bischöflichen Jugendamt angebotenen Kurse war endlich Gelegenheit, christliche Gemeinschaft zu erleben, Glaubensfragen zu diskutierten, die Probleme des Alltags zu besprechen. Viele Jugendliche erlebten das als 
wirkliche Oase mitten in der atheistischen Wüste. Denn hier trafen sie, anders als in ihren Schulklassen, wo die Christen sehr oft allein auf sich gestellt waren, Gleichgesinnte. Hier waren sie auf einmal nicht mehr in der Minderheit. 
Hier konnten sie von den Erfahrungen ihrer Altersgenossen hören, die sich häufig von eigenem Erleben wenig unterschieden. Hier konnten sie Mut schöpfen für den Alltag im real existierenden Sozialismus. „Alt Buchhorst war der Ort, wo Glaube zur Sprache kam und zur Sprache gebracht wurde“, brachte es die Referentin im Erzbischöflichen Jugendamt, Maria Rontschka, einmal auf den Punkt. 
Nach Wende und deutscher  Wiedervereinigung soll „AB“ als geprägter Ort  für die Jugend des ganzen Erzbistums Berlin erhalten bleiben. Darin waren sich die im Ordinariat verantwortlichen Priester, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 
schnell einig. Deshalb wurden weder Mittel noch Kräfte gespart, um  das Haus grundlegend zu modernisieren (die KirchenZeitung wird über die Einweihung des Neubaus gesondert berichten). 
1933, vor nunmehr 65 Jahren, erwarb das Bistum drei zusammenhängende Grundstücke in Alt Buchhorst. Gefördert und initiiert wurde das Immobiliengeschäft  vom damaligen Jugendseelsorger  Kaplan Klawitter, der später Pfarrer in Werneuchen wurde. Grund des Kaufes war die Tatsache, daß im damals noch jungen Bistum eine Begegnungsstätte für Jugendliche fehlte. Das Gelände am Peetzsee, zum Teil befand sich dort ein privates Altenheim, bot sich geradezu an, hier ein Haus für die Jugend zu bauen. Für die schnell vorgelegten Pläne begeisterte sich auch der Bischof von Berlin, Dr. Christian Schreiber. Er gab seinen bischöflichen Segen, und mit den ersten vorbereitenden Arbeiten wurde begonnen. Leider konnte Bischof Schreiber die Weihe des Jugendhauses nicht mehr erleben. Er starb im gleichen Jahr, am 1. September. Am 29. Oktober 1933, die Nazis hatten sich gerade an die Macht gewöhnt, übernahm der damalige Generalvikar Dr. Steinmann den Weiheakt und übergab das Jugendhaus seiner Bestimmung . 
Zur Erinnerung an den verstorbenen Bischof wurden die drei aus heutiger Perspektive als primitiv zu bezeichnenden Holzhäuser „Christian-Schreiber-Haus“ genannt. Der Generalvikar ließ es sich damals nicht nehmen,  persönlich 
ein Bild des Bischofs im Speisesaal anzubringen. Von diesem Augenblick an hatten die katholischen Jugendverbände in Berlin ein ständiges Ziel: „AB“. 1933 gilt auch als das Geburtsjahr einer überpfarrlichen, diözesanen Jugendarbeit im Bistum. Noch konnten die zahlreichen katholischen Verbände ungestört arbeiten. Ob „Neudeutschland“ oder „Heliandbund“, begeistert zogen die Jugendlichen hinaus vor die Tore der Stadt - nach Alt Buchhorst. Doch die politische Situation verschärfte sich zunehmend. Den Nazis war Verbandsarbeit außerhalb ihrer eigenen Strukturen ein Greuel. So auch die Verbandsarbeit der katholischen Jugend. Gerade junge Menschen wollten Hitler und sein Lakai Baldur von Schirach ausnahmslos in der Hitler-Jugend (HJ) sehen. Hier sollten sie auf das vorbereitet werden, was hinter der Lagerfeuerromantik böse emporstieg: Krieg. 
Zug um Zug verboten die Nazis alle katholischen Verbände. Für das Jugendhaus in Alt Buchhorst bedeutete die Entwicklung, daß hier ab 1936 nur noch die Pfarrjugend zusammenkommen konnte. Am Dreifaltigkeitssonntag dieses Jahres hielten die in den verschiedenen Pfarrjugendgruppen aktiven Mädchen und Jungen im Christian-Schreiber-Haus ihren „Jugendbekenntnistag“ ab. Unterstützt wurden ihre christlichen Ideale von mutmachenden Worten der Deutschen 
Bischofskonferenz. Katholische junge Männer hatten bereits zuvor versprochen, Alt Buchhorst zu einem Wallfahrtsort zu machen. Im Jahre 1937 kam die Schutzmantelmadonna nach Alt Buchhorst. Die Holzstatue der Muttergottes wurde 
1934 von dem jungen katholischen Künstler Rudolf Hölzel geschaffen. Trotz ihrer rigiden Propaganda gegen die Kirche gelang es den braunen Machthabern nicht, die Gläubigen von dem soeben geborenen Wallfahrtsort fernzuhalten. Die 
Schutzmantelmadonna wurde in den folgenden Jahren Ziel von jährlichen Wallfahrten. 
Bis 1966 war Alt Buchhorst der einzige Wallfahrtsort in Deutschland, der ausschließlich für Jugendliche bestimmt war. Reine Jugendwallfahrten gibt es hier seit 1957. Ab 1963 wurde die Madonna  auch Ziel der Familienwallfahrten, 
die traditionell im Juni stattfinden. Deutlich später kam die Seniorenwallfahrt hinzu, die jetzt ebenfalls einmal im Jahr gehalten wird. 

 

 Thomas Steierhoffer
(Ausgabe Nr. 19 / 10.5.98)