Ein Brinkmann in St. Hedwig wäre
besser angekommen
Das waren noch Zeiten, als ganz Fernsehdeutschland mit
den Brinkmanns aus der Schwarzwaldklinik fieberte, sich
über gelungene Operationen freute oder bei
Fehlschlägen vor Mitleid heiße Tränen
vergoß. Seriöse Meinungsforschungsinstitute
ermittelten seinerzeit, daß große Teile der
Bevölkerung im Falle einer anstehenden Operation nur
Professor Brinkmann ans Messer gelassen hätten.
Tatsächlich, soweit ging damals die Identifikation
mit
dem Fernsehchirurgen. Schwarz auf weiß haben die
Demoskopen das Phänomen festgehalten. Was sie wohl
jetzt ermitteln werden? Ganz so rosig dürfte der
Eindruck wohl nicht sein, den die Macher des Zweiteilers
Leben in Angst bei den ZDF-
Zuschauern hinterlassen haben. Ort des Geschehens war
diesmal das katholische St. Hedwigs Krankenhaus im Herzen
Berlins. Gottes Ohren hören hier alles:
Und dann schreiben Sie bitte noch die
zweite
Abmahnung an unseren Emil! Wegen wiederholt
mißbräuchlicher Benutzung des
Diensttelefons. Die Oberschwester in St. Hedwig
schaltet schon mal die zentrale Telefonanlage auf
Mithören. Und was da so alles
über die Leitungen
fließt, liefert den Stoff für eine wilde
Erpresserstory. Ein bisexueller Oberarzt, fachlich zwar
überragend, moralisch jedoch unter Druck - der
intrigierende, karrieresüchtige, tabletten- und
drogenabhängige Kollege im weißen Kittel - auf
der Station ein sich als vollschwul
outender Patient - der bei einem Verkehrsunfall tragisch
zu Tode gekommene Chefarzt - aufmüpfige, den
Erziehungsversuchen der Eltern entwischende Jugendliche -
eine sich hintergangen und betrogen fühlende
Ehefrau, die schließlich die Erpressungsversuche
gegen ihren Mann aufklärt und der sich zu
jeder
unpassenden Gelegenheit bekreuzigende Pfleger aus
Tschechien: das ist der Stoff, aus dem das Bild von St.
Hedwig in diesem Film gewebt ist. Nun mag es sein,
daß nicht jeder Zuschauer mit der
regelmäßig eingeblendeten Front des
Hauptgebäudes und dem an ihrer Stirn angebrachten
Schriftzug St. Hedwig Kliniken eine
genaue Vorstellung verbindet. Mal wurden das
ehrwürdige Gebäude nebst Seitenflügel
kletterplanzenumrankt, mal romantisch in der Abendsonne
glänzend zwischengeschnitten. Dem katholisch
sozialisierten Berliner jedoch ist das Haus ein fester
Begriff, dem dort behandelten Parienten eine sichere
Bank. Und was die Macher des bereits 1996 produzierten
Zweiteilers am Sonntag und Montag über die
Fernsehschirme jagten, dürfte dem Image des Hauses
nicht unbedingt zuträglich gewesen sein. Hier
muß die Frage gestattet sein, wer von den
Verantwortlichen in St. Hedwig die Drehgenehmigung
erteilt hat. Die Vermutung liegt nahe, ohne zuvor das
Drehbuch eingehend studiert zu haben. Die mit einer
Drehgenehmigung üblicherweise verbundenen Honorare
dürften in keinem Verhältnis zu dem stehen, was
mit diesem Film in den Köpfen der Zuschauer an
negativen Klischees gegenüber der katholischen
Kirche und ihren Einrichtungen zementiert wurde. Nicht
nur der im Stile des jungen Elvis Presley die Stufen der
Kapelle hinunterstürmende Bischof, der sich in seine
sechstürige, protzig vorfahrende Mercedes-Limousine
schwingt und den zum Spalier angetretenenen
Ordensschwestern gnädig zuwinkt, hat in Berlin
nichts mit der Realität zu tun. Auch dürfte es
heute keine pulloverstrickende, jugendlich wirkende
Ordensschwester geben, die sich vor dem Fernseher der
Krankenhausaufnahme darüber wundert, daß ihr
prämierter Oberarzt plötzlich live über
die Mattscheibe zu ihr spricht. Und das, obwohl er doch
zur Entgegennahme seines Preises in eine ferne Stadt
gereist war.
Man kann nur hoffen, Zuschauerinnen und Zuschauer
mögen die miserable, der Genesung von Kranken
abträgliche Atmosphäre in dem Krankenhaus des
Films nicht direkt auf die reale Situation in der
traditionsreichen katholischen
Einrichtung übertragen. Wenn doch, dürfte es
sich der eine oder andere im Falle ernsthafter
gesundheitlicher Probleme überlegen, ob er sich in
die Obhut von Schwestern und Ärzten in St. Hedwig
begibt. Fest steht, mit dem Film wurde dem Haus Schaden
zugefügt.
Thomas Steierhoffer
(Ausgabe Nr. 11 / 15.3.98)
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