In der Katholischen Kirchenzeitung Nr. 8/98 lesen Sie auf der Seite 11 den folgenden Beitrag:
Im Kampf um die Seelen
Kirchliche und nichtkirchliche Telefonseelsorge in Berlin 
 ringen um öffentliche Fördergelder 

Berlin - Uwe Müller ist sauer. Der Leiter der Kirchlichen Telefonseelsorge Berlin lehnt sich in seinem Stuhl zurück, schließt zur Sammlung kurz die Augen, und dann läßt er Druck ab. 
Um Wartezeiten zu verkürzen oder ganz zu vermeiden, schaltet die Telekom Rat- und Hilfesuchende bundesweit auf den nächsten freien  Seelsorgeapparat. Bei jährlich etwa 18.500 Anrufen kommt es immer mal wieder vor, daß Klienten aus dem Berliner Westen bei der Kirchlichen Telefonseelsorge auflaufen. Die sitzt im Prenzlauer Berg, also im Ostteil. „Mir wurde doch zugesichert, daß ich nicht in den Osten verbunden werde“, ist eine Äußerung von Ratsuchenden, die Müller und seinen zumeist ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen sauer aufstoßen. „Diese Äußerung muß Ursachen haben“, sagt Müller. Und dann erzählt er vom Konkurrenzkampf zwischen der „Kirchlichen Telefonseelsorge  Berlin“ und der „Telefonseelsorge Berlin e.V. -älteste Telefonseelsorge in Deutschland“. In Zeiten leerer Kassen dreht sich  auch hier  viel um die Aufteilung von ohnehin begrenzten Mitteln. 
 Noch vor der Wende, 1987, wurde die Kirchliche Telefonseelsorge unter den schwierigen politischen Bedingungen in der DDR gegründet. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen mit den staatlichen Stellen. Bestrebungen, schon 
 damals mit der in West-Berlin ansässigen Telefonseelsorge zu kooperieren, wurden nicht zuletzt wegen dem in der DDR betonten politischen Status von West-Berlin unterbunden. „Berlin (West)“, so hieß es, sei „kein Bestandteil 
der BRD“. Dennoch konnten Kontakte zum Westen geknüpft werden. So fand die Kirchliche Telefonseelsorge über kircheninterne Verbindungen Partner im Rheinland. Um Ratsuchenden in der DDR kompetente Hilfe anbieten zu können, war die Qualifikation der Mitarbeiter vonnöten. Die Partner aus dem Westen schickten Ausbilder. So kam auch Gisela Kemmer von der Duisburger Telefonseelsorge nach Ost-Berlin, um hier eine Struktur aufzubauen. Die Kosten der Kirchlichen Telefonseelsorge beliefen sich damals auf 45.000 Ost-Mark im Jahr. Finanziert wurde sie von katholischen, evangelischen und freikirchlichen Stellen. Gerade die Punkte fachgerechte Ausbildung und westlich orientierte Struktur sollten der Kirchlichen Telefonseelsorge in der Wendezeit und danach Vorteile bringen. Als eine der ganz wenigen Einrichtungen im Osten konnte man hier auch nach der deutschen Wiedervereinigung ohne große Umstellungsprobleme arbeiten. Das vereinigte Berlin allerdings sah sich vor der Realität, über Nacht zwei Telefonseelsorgestellen zu haben. Gespräche zwischen den Mitarbeitern, den jeweiligen Trägern und dem Berliner Senat ergaben die Förderungswürdigkeit beider Einrichtungen. Heute fördert der Senat die Kirchliche Telefonseelsorge 
 mit jährlich 130.000 Mark aus öffentlichen Mitteln. Die nichtkirchliche Stelle bekommt 180.000 Mark. Uwe Müller und sein Team erhalten weitere 130.000 Mark aus den Töpfen der Caritas, der Diakonie, des Erzbischöflichen Ordinariats, des Bundes Evangelischer Freikirchlicher Gemeinden sowie der Landeskirche Berlin-Brandenburg. Der Rest werde über Spenden finanziert, so Müller. Dennoch betrage das Defizit etwa 50.000 Mark. Der Jahresetat von 340.000 Mark fällt im Vergleich zu den 870.000 Mark der Konkurrenz eher bescheiden aus. Der Eindruck wird zusätzlich verstärkt, wenn man berücksichtigt, daß beide Einrichtungen jährlich etwa gleichviele Anrufer betreuen. Hier steht das Verhältnis bei 18.500 zu 20.300 (1996). Gegenüber der Telefonseelsorge im Berliner Westteil sieht sich Müller heute einigermaßen im Vorteil. Während seine Einrichtung lediglich mit drei  Hauptamtlichen besetzt ist, muß die Konkurrenz einen nicht unerheblichen Teil  ihrer Mittel zur Finanzierung von zehn hauptamtlichen Mitarbeitern aufbringen. Und darin  liegt ein wesentlicher Knackpunkt im Verhältnis beider Einrichtungen. Da es jetzt im Westen  um den Erhalt von Arbeitsplätzen geht,  scheint die Beziehung nicht unbedingt freundschaftlich zu sein. Hinter den Kulissen wird mit harten Bandagen gekämpft. 
Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Nur fordert Müller „Fairplay“. Wenn er und seine Mitarbeiter immer wieder registrieren, ihnen wird die fachliche Kompetenz abgesprochen, müssen sie sich zur Wehr setzen. Schließlich 
kann es bei einem so wichtigen Angebot wie der Telefonseelsorge nicht in erster Linie um die Bequemlichkeit von Mitarbeitern gehen. Die Bedürfnisse der Anrufer - Menschen, die dringend Hilfe brauchen -  sind es, die  allen 
Entscheidungen zu Grunde liegen sollten. Der Leiter der Kirchlichen Telefonseelsorge Berlin kann nicht verstehen, warum in Berlin wieder nur mit einer Rufnummer, nämlich der der Telefonseelsorge aus dem Westen, geworben wird. Seit Ende 1997 hat die Telefonseelsorge Berlin e.V. im gesamten Stadtgebiet eine Werbekampagne zu laufen. An S- und U-Bahnhöfen sind Plakate geklebt, die einen auf dem Rücken liegenden Käfer zeigen. „Wir helfen auf die Beine“, ist zu lesen. Der Käfer ist das Logo der Telefonseelsorge Berlin e. V., als Rufnummer wird lediglich die eigene angegeben. Deutlicher kann die Konkurrenzsituation nicht öffentlich gemacht werden. Allem Anschein nach geht es hier wirklich nur um den Kampf um Anrufer in Not. 
Uwe Müller setzt auf in Kürze anstehende Gespräche zwischen beiden Telefonseelsorgestellen in Berlin. Er ist der Überzeugung, und er hat die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, daß es zukünftig zu einer „friedlichen Koexistenz“ kommen kann, die sich durch „fairen Umgang“ miteinander auszeichnet. Müller: „Die Menschen in Not müssen immer im Mittelpunkt stehen.“ 
 

 Thomas Steierhoffer
 (Ausgabe Nr. 8 / 22.2.98)