Christliches Menschenbild vermitteln
Katholische Theresienschule auf dem Weg ins 21. Jahrhundert

Gerade sind Lehrer, Schülervertretung und Elternschaft an der Theresienschule in Berlin-Weißensee damit beschäftigt, eine Profilbeschreibung des katholischen Gymnasiums zu erarbeiten. Welcher Geist charakterisiert unseren
Schulalltag im pädagogischen und im zwischenmenschlichen Bereich? Wie wird bei uns an der Schule versucht, christliche Werte zu leben und zu vermitteln?
Welche Traditionen aus der über 100jährigen Geschichte der vormals reinen Mädchenschule gilt es zu bewahren? Das sind einige Fragen, zu deren Beantwortung alle Beteiligten keine Mühen scheuen. Schließlich begreifen sie
die tiefgehende Analyse als einen Grundpfeiler, auf dem die verantwortungsvolle Arbeit mit den jungen Generationen der Zukunft ruhen kann. Diese Arbeit führt direkt hinein ins nächste Jahrtausend. Während des Katholikentages 1998 in Mainz werden Vertreter der Theresienschule am Stand des Erzbistums Berlin über die Geschichte des Gymnasiums sowie über aktuelle Vorhaben und laufende Projekte informieren. Bereits im Vorfeld des bundesweiten katholischen Großereignisses wollte die KirchenZeitung mehr über das Selbstverständnis der Theresienschule wissen. Schulleiterin Annaliese Kirchberg, ihr Stellvertreter Konrad Moser, die Leiterin des Fachbereiches Deutsch, Angelika Klapper, sowie die Lehrerin für Latein und Russisch, Uta Faber, gaben bereitwillig Auskunft. Die Vermittlung des „christlichen
 Menschenbildes“ sei Grundlage aller Überlegungen und Aktivitäten an der Schule, betonte Oberstudiendirektorin Annaliese Kirchberg. An dem Gymnasium stünde der Mensch, stünden die Schülerin und der Schüler im Mittelpunkt. Ziel der Erziehung sei es, so die Schulleiterin, „individuelle Fähigkeiten und Neigungen zu fördern“. Ihr und ihrem Kollegium ist es ein dringendes Anliegen, „nicht nur die Elite herauszupicken und zu fördern“. „Das Außerachtlassen der Schwachen in der Gesellschaft hat fatale Folgen“, unterstreicht Kirchberg. Für die musische Förderung der Schüler stehen an der Theresienschule zehn Lehrerstunden zur Verfügung. „Wenn man bedenkt“, so Konrad Moser, „daß wir für alle Arbeitsgemeinschaften insgesamt 15 Stunden haben, spricht die Zahl für sich.“ Viel Freude und großen Einsatz zeigen Schülerinnen, Schüler und Lehrer beim Theaterspiel und in der Chormusik. Regelmäßig geben die jungen Schauspieler sowie die Chormitglieder Proben ihres Könnens. Konzerte, die der Chor der Theresienschule bestreitet, zeichnen sich durch ein beachtliches Niveau aus. Die öffentliche Aufführung von Theaterstücken hat eine lange Tradition. Jeweils die 12. Jahrgangsstufe entscheidet sich für ein zu spielendes Stück. Dann werden die Rollen verteilt, Kostüme angefertigt oder besorgt, Requisiten gebastelt, das Bühnenbild entworfen. Nach vielen schweißtreibenden
Probestunden kommt das Jahresprojekt zu seinem krönenden Abschluß. Vor Mitschülern, Eltern, Lehrern und Freunden zeigen die Mimen, was sie mit Fleiß, Freude und unter kompetenter Anleitung einstudiert haben.
Es ist der mündige, der entscheidungsfreudige Mensch, der in der Theresienschule geformt werden soll. Erziehung meint hier auch die Befähigung zum Widerspruch in Gesellschaft und Kirche. Und das hat tatsächlich eine lange Tradition. Beispielhaft sind dafür die DDR-Jahrzehnte. Mit großem „diplomatischem Geschick“, wie Angelika Klapper es nennt, war es der ehemaligen Schulleiterin, Schwester Maria Julie von der Gemeinschaft der Schwestern Unserer Lieben Frau, gelungen, bereits im Frühsommer 1945 den Schulbetrieb wieder aufzunehmen. Am 1. Juni wurden rund 70 Schülerinnen ihrem Wissensstand entsprechend in verschiedene Gruppen eingeteilt und unterrichtet. Dieses Datum gilt als der Beginn des Schulbetriebs nach dem Verbot durch die braunen Machthaber. Anfang Februar 1946 faßten die Alliierten den Beschluß, daß alle bereits eröffneten Privatschulen in Berlin den Lehrbetrieb fortsetzen dürften. Zu den Privatschulen gehörte damals auch die Theresienschule. Wenngleich die einzige katholische Privatschule auf dem Territorium der 1949 gegründeten DDR den SED-Genossen zunehmend Unbehagen bereitete, sahen sie keine Möglichkeit, die Theresienschule zu schließen. Viele katholische und evangelische Eltern fanden hier während der kommunistischen Diktatur einen Ort der Geborgenheit für ihre Kinder. „Dafür haben wir Gott zu danken, der in den
 äußeren Belastungen und auch in manch inneren Spannungen diese Schule ganz offensichtlich mit seinem Segen begleitet hat“, schreibt Weihbischof Wolfgang Weider zum 100jährigen Jubiläum der Theresienschule, das 1994 gefeiert wurde.
„Ich glaube nicht, daß die Schule in den DDR-Jahren wirklich existenziell gefährdet war“, meint Vizeschulleiter Konrad Moser. Zur Schließung hätten sich die DDR-Behörden nicht durchringen können. „Die waren viel zu sehr darauf
 bedacht, die Beschlüsse der Alliierten zu befolgen.“ Spannungen gab es jedoch immer wieder. So mußte nach den Plänen des DDR- Ministeriums für Volksbildung unterrichtet werden. Das bedeutete unter anderem, auch das Fach Staatsbürgerkunde wurde obligatorischer Bestandteil des Lehrplanes. „Es war immer eine Gratwanderung“, erinnert sich Angelika Klapper, die seit 1976 an der Theresienschule arbeitet. Lehrer und Schüler mußten sich damals hundertprozentig aufeinander verlassen können. Es galt einerseits, die Fakten des sozialistischen Lehrplanes zu vermitteln, andererseits aber auch die Möglichkeit zu schaffen, über genau diese Fakten zu diskutieren, sie in Frage zu stellen. Mit Kontrollbesuchen und ganztägigen Hospitationen mußten hier bis hinein in die 50er Jahre immer gerechnet werden. Die Wende wurde an der Theresienschule als „Befreiungsschlag“ empfunden. Doch wurden die Probleme keineswegs geringer. Jetzt galt es, die Lehrpläne umzustellen, neue Schulbücher zu besorgen und vor allem, die Schule auch für Jungen zu öffnen. „In der Umbruchsphase bekamen wir große Unterstützung aus dem Westen“, erinnert sich Annaliese Kirchberg. Gerade für die Fächer Englisch, Deutsch, Geschichte und Sozialkunde war es unerläßlich, gleich zu Beginn der neuen Ära gute Schulbücher anzubieten. Und die ersten Bücher wurden von Partnern in Münster gespendet.
Von den 33 Lehrerinnen und Lehrern, die heute an der Theresienschule 356 Schüler zweizügig in der Klassenstufen 7 bis 13 unterrichten, stammt mehr als die Hälfte aus dem Westteil Berlins und aus den alten Bundesländern. Uta
 Faber, die zuvor an der Franziskusschule in Berlin-Schöneberg als Russisch- und Lateinlehrerin tätig war, gehört seit 1991 zum Weißenseer Kollegium. „Ich versuche, den Osten mit dem Westen zu verbinden, indem ich Russisch und Latein gebe“, sagt sie. Ihr fällt hier besonders auf, daß die Schülergottesdienste sehr gut besucht sind. Jeden Donnerstag feiern Schüler und Lehrer in der benachbarten St.-Josefs-Kirche mit Pfarrer Peter Roske die Heilige Messe oder einen ökumenischen Gottesdienst. Der Gottesdienst sei es neben dem Religionsunterricht in erster Linie, der den christlichen Geist des Hauses entscheidend präge, so Direktorin Kirchberg. 
Und Konrad Moser fügt hinzu: Der Pfarrer ist ein Geschenk des Himmels.“ 

Thomas Steierhoffer
Aus der Katholischen KirchenZeitung 
Nr. 23/98 vom 7. Juni 1998