"Gott hat mich verführt"
KirchenZeitung besuchte Berliner Neupriester im St. Otto-Heim

Zinnowitz - Burkhard Stegemann (36) und Florian Erlenmeyer (31) sind die beiden Neupriester, die am 27. Juni von Kardinal Georg Sterzinsky in St. Hedwig zu Priestern geweiht wurden. Der aus dem Münsterland stammende Stegemann hatte zuvor Philosophie, Französisch und Geschichte studiert. Sein junger Mitbruder im priesterlichen Amt, Florian Erlenmeyer, stammt aus München. Er hatte vor seinem Theologiestudium bereits Geschichte studiert. Beide Kapläne gehören einer neuen geistlichen Bewegung, dem Neokatechumenat, an. Noch bis zum Ende dieser Woche begleiten die beiden Kinder und Jugendliche im Zinnowitzer St. Otto-Heim. Die KirchenZeitung war vor Ort, um mit den Neupriestern zu sprechen.

Frage: Warum haben Sie sich für den neukatechumenalen Weg entschieden?

Erlenmeyer: Durch meine Eltern bin ich zum neokatechumenalen Weg gestoßen. Dieser Weg zur Wiederentdeckung der Taufe hat ihnen aus einer schweren Ehekrise geholfen und die Ehe gerettet. Das Zeugnis meiner Eltern hat mich überzeugt und mich in die Kirche geführt. Die Eltern sind dann nicht mehr nur aus Tradition zur Kirche gegangen sind, sondern weil sie erlebt haben, daß Gott ihnen tatsächlich geholfen hat. Jetzt sehe ich ganz persönlich, daß Gott auch mit meinem Leben etwas zu tun hat, mit meiner eigenen Geschichte. Alle Schwierigkeiten, die ich besonders als Jugendlicher hatte, waren in Gottes Plan enthalten. Ich durfte erkennen, daß Gott mich liebt, so wie ich bin.
Stegemann: Sie haben gefragt, warum ich mich für den Weg entschieden habe. Eigentlich habe ich mich nicht entschieden. Gott hat mich verführt, könnte ich sagen. Während meines Studiums im säkularisierten Hamburg hatte ich eine Krise. Dann habe ich eine Katechese erlebt, die eine Familie gehalten hat. Diese Familie gehörte zu denen, die der Pappst mit der Missionierung beauftragt hat. Was ich dort gehört habe, hat mich sehr beeindruckt. Es gab einige Sätze, an die ich mich bis heute erinnern kann. Zum Beispiel: „Christus will in uns lebendig sein“ oder „Das Reich Gottes ist nahe“. Eigentlich kannte ich diese Sätze bereits, ich war ja katholisch. Doch in diesem Zusammenhang haben sie mich ganz neu und tief berührt. Seitdem erlebe ich immer neu, daß Gott mich reich machen möchte. Er möchte mich zu einem neuen Menschen machen. Zu einem Menschen, der normal leben kann. So wie es der heilige Paulus sagt, ein „neuer Mensch“ werden.

Frage: Beide wurden Sie zum Priester geweiht. Wäre für Sie der priesterliche Weg auch außerhalb des Neokatechumenats denkbar gewesen?

Stegemann: Ich wollte schon als kleiner Junge Priester werden. Vorstellen konnte ich mir das also auf jeden Fall. Praktisch war es jedoch unmöglich. Ich hatte so viele Probleme, charakterliche Schwierigkeiten, Probleme mit der Sexualität. Ich hätte mir nie vorstellen können, zölibatär zu leben. Doch als ich dann den neokatechumenalen Weg eingeschlagen habe, habe ich gemerkt, daß ich der Frage nach der priesterlichen Berufung immer ausgewichen bin. Langsam, langsam ist dann die Frage wieder ernster geworden. Ich habe auch gespürt, daß Gott zu mir spricht, daß er mich ruft. Das hängt bei mir ganz stark mit dem Katechumenat zusammen. Hier habe ich eine Gemeinschaft gefunden, in der ich gespürt habe, die wollen Priester. Im Seminar habe ich dann erlebt, daß die Berufung immer universal ist. Und das habe ich bei meiner Priesterweihe ja auch versprochen. Ich stehe für die Aufgaben des Priesters im Erzbistum Berlin zur Verfügung. Und der Bischof hat gesagt, daß er uns einsetzen wird, wo wir gut arbeiten können.
Erlenmeyer: Für mich ist ganz wichtig, daß ich Priester der Erzdiözese Berlin bin und nicht des Neokatechumenats. Für mich stand nicht die Frage, ob ich Priester werde oder heirate. Primär mußte ich mich fragen, ob ich mein Leben christlich oder weltlich ausrichte. Das Katechumenat hat mir geholfen, den Willen Gottes zu erkennen. Der neukatechumenale Weg ist, davon bin ich überzeugt, ein sehr nützliches Instrument für die Pastoral von heute. Das hat der Papst immer wieder betont. An uns liegt es jetzt, die Möglichkeiten für die Menschen in den Pfarreien und außerhalb der Kirche auszuschöpfen.

Frage: Sie stammen aus Bayern und aus dem Münsterland. Sind Diaspora-Diözesen wie Berlin heute auf Priester aus katholischen Regionen angewiesen, um perspektivisch pastorale Arbeit leisten zu können?

Erlenmeyer: Seit dem Zweiten Vatikanum ist die Beweglichkeit der Priester viel größer geworden. Zuvor war es fast undenkbar, daß ein angehender Priester im Seminar eines anderen Bischofs studiert. Heute haben wir die mobile Gesellschaft. Wir sind flexibler geworden. Ich würde die Frage nicht vor dem Hintergrund der Diaspora beantworten, sondern vor dem Hintergrund der Öffnung der Kirche seit dem Konzil. Wichtig ist heute, daß junge Menschen erleben, die Priester sind ganz normale Menschen, die auch Fußball spielen. Aber sie sollen auch spüren, daß die Priester mehr wollen. Wenn wir die Heilige Messe feiern, hoffe ich, daß junge Menschen erleben, da gibt es noch mehr.
Stegemann: Ich glaube, die Diaspora braucht immer Priester von auswärts. Wir leben in einer Zeit des Übergangs. Seit dem Zweiten Vatikanum hat sich ein neues Bild von Kirche entwickelt. Heute ist der Priester nicht mehr der große Chef, der „Pfarrherr“ im alten Sinne. Die ganze Kirche soll Licht werden, und der Priester hat vor diesem Ziel eine wichtige Funktion. Vielleicht ist es in dieser konkreten Situation wichtig, daß Bewegungen wie das Neokatechumenat mithelfen, das ziel zu erreichen. Auch im Erzbistum Berlin. 

Frage: Warum beginnen Sie Ihren priesterlichen Dienst gerade mit Kindern in Zinnowitz?

Stegemann: Das war der Wunsch des Kardinals. Geschickt hat uns dann der Weihbischof. Hier haben wir Gelegenheit, ganz schnell die gesamte Wirklichkeit der Diözese kennenzulernen. 
Frage: Wie geht es nach den Wochen in Zinnowitz weiter?
Erlenmeyer: Ich beginne meinen Dienst am 1. September in Maria Frieden in Mariendorf.
Stegemann: Auf mich warten Aufgaben in Kaulsdorf, in der Gemeinde St. Martin.

Interview: Thomas Steierhoffer
Bildtext: Vor den neuen Häusern im Otto-Heim:
Kaplan Burkhard Stegemann (re.) und Kaplan Florian Erlenmeyer.
Foto: Steierhoffer
Nr. 34/98 vom 23. August 1998