Stellenplan für die
Gemeindeseelsorge bis zum Jahr 2005
-Interview mit Weihbischof Wolfgang
Weider -
Im Sommer 1997 ist den Dekanen ein Stellenplan
für die Gemeindeseelsorge bis zum Jahr 2005
zugegangen. In den Dekanaten sollte dieser Plan besprochen und ggf. mit
Änderungsvorschlägen zurückgesandt werden. Die vorgesehenen Stellenreduzierungen haben zum Teil heftige
Diskussionen ausgelöst. Mit Weihbischof Weider, dem Dezernenten für Personal im
pastoralen Dienst, sprach Hermann Fränkert-Fechter:
INFO: Herr Weihbischof, warum
ist ein Stellenplan 2005 notwendig geworden?
Weider: Wir haben in
den letzten Jahren von unseren 215 Pfarreien 46 zumeist
kleinere Gemeinden vornehmlich außerhalb von Berlin
nicht mehr mit einem Priester besetzen können und
mußten sie einem benachbarten Pfarrer in der Leitung
anvertrauen. Aufgrund der Personalsituation der Priester
wird dies jetzt leider auch für größere
Gemeinden im Raum Berlin nötig werden. Wir haben z.Zt.
288 Priester im aktiven Dienst, davon sind 70
Ordenspriester. Wenn man als durchschnittlichen Beginn des
Ruhestandes das 68. Lebensjahr ansetzt - die Erfahrung
bestätigt dies – dann werden wir im Jahre 2005
etwa 85 Diözesanpriester weniger haben und etwa 20
Priester aus den Orden, das sind immerhin mehr als 100
Priester. Meines Erachtens könnten wir in dieser Zeit
mit ungefähr 20 Neupriestern rechnen. Außerdem
schätze ich, daß die 20 Ordenspriester vielleicht
durch 10 andere Priester von seiten der Orden ersetzt
werden könnten. So haben wir schätzungsweise ein
Defizit von 80 Priestern für das Jahr 2005. Es bleibt
uns daher leider nichts anderes übrig, als diese harte
Wirklichkeit in unsere Personalplanung einzubeziehen.
Manchmal wurde uns der Vorwurf gemacht, wir hätten
weder ein Personal- noch ein Pastoralkonzept und die
Gemeinden würden häufig vom Abzug eines Priesters
am Ort überrascht. Daher haben wir in einer
Kommission, von fünf Personen, drei Laien, zwei
Priester, diesen Stellenplan 2005 entworfen. Uns war von
vornherein klar, daß dies nur ein Entwurf sein kann
und die unerläßliche Beteiligung der Dekanate und
Gemeinden zur Konkretisierung dieses Planes hinzukommen
muß. Deshalb haben wir diesen Entwurf zur
Stellungnahme und Korrektur in die Dekanate gegeben. Dabei
ist einigen Gemeinden erst bewußt geworden, wie ernst
die Situation ist.
INFO: Eine
grundsätzliche Kritik wurde darin gesehen, daß vor
der Erarbeitung eines Stellenplanes nicht die pastoralen
Schwerpunktsetzungen diskutiert werden. Können Sie
Intentionen und Grundsätze nennen, die dem Stellenplan
zugrunde liegen?
Weider: Erster
pastoraler Schwerpunkt ist eine möglichst
flächendeckende Grundpastoral. Was darunter zu
verstehen ist, ist in den “Grundsätzen“
enthalten, die in Zusammenarbeit mit dem Herrn Kardinal,
dem Pastoralrat und dem Priesterrat erstellt worden sind.
Dazu gehören Gottesdienst, Sakramentenspendung, Sorge
um Kranke und Sterbende, Familien– und
Jugendseelsorge und schließlich der
Religionsunterricht. Einzelne Prioritäten und
Schwerpunkte muß der Priester selbst nach der
jeweiligen Situation und den personellen Möglichkeiten
setzen. Ein weiterer Schwerpunkt ist meines Erachtens die
Aufgeschlossenheit der Priester, Diakone, Pastoralen
Mitarbeiter und Gemeinden über die Grenzen des eigenen
Bereiches hinaus für die Anliegen im Dekanat und
Erzbistum. Es ist heute zuwenig, nur für die Aufgaben
innerhalb einer Gemeinde dazusein. Wir müssen
über den Zaun der eigenen Gemeinde mit Verantwortung
hinausschauen und die Sorgen der anderen bei unserer
konkreten pastoralen Arbeit mitbedenken und vielleicht auch
mittragen. Alle müssen flexibel werden bei den
notwendig werdenden Veränderungen. Keiner kann nur von
seiner Zuständigkeit oder auch nur von seinem fest
umschriebenen Berufsbild allein denken, sondern muß
überlegen, wie er Aufgaben mitwahrnehmen oder
Gemeindemitglieder anleiten kann, Aufgaben zu
übernehmen. Die Förderung der ehrenamtlichen
Mitarbeiter durch hauptamtliche wird ganz besonders
notwendig werden. Wir müssen lernen vom Ganzen einer
Gemeinde oder eines Dekanates her zu denken und nicht von
unseren eigenen Wünschen und Vorstellungen allein. Von
manchem wird das Fehlen einer fest umschriebenen
Aufgabenstellung von Laien zu Leitungsaufgaben in einer
Gemeinde kritisiert. Es scheint uns jedoch besser, erst
Erfahrungswerte zu sammeln und dann eine Ordnung
festzulegen, als umgekehrt. Grundsätzlich können
nämlich Laien, soweit sie dazu qualifiziert sind, zu
allen Aufgaben in einer Gemeinde delegiert werden, die
nicht ausschließlich dem Priester vorbehalten sind.
Daran ändert auch die “Instruktion“ aus
Rom nichts, sondern sie bestärkt diese Ansicht. Es
wird am einzelnen Pfarrer, den pastoralen Mitarbeitern und
der konkreten Ortssituation liegen, wie die Aufgaben in
einer Gemeinde verteilt werden. Das wird von Gemeinde zu
Gemeinde unterschiedlich sein und hängt nicht zuletzt
von der Qualifikation und auch von der Persönlichkeit
des einzelnen ab. Oberstes Prinzip muß immer das Wohl
der Gemeinde sein.
INFO: Können Sie einen
ersten Einblick in die Rückläufe aus den Dekanaten
zu dem Stellenplan geben?
Weider: Es kamen sehr
konstruktive Änderungsvorschläge, die wir gerne
berücksichtigen wollen. Gerade die Änderungen
waren für uns ein Zeichen, daß mitgedacht wurde
und daß sich Wege zeigen, die auch von der Basis
mitgetragen werden. Es gab auch viel Zustimmung mit
einzelnen Modalitäten zu unseren Vorschlägen.
Auch auf falsche Ist-Standangaben wurden wir hingewiesen,
die wir dankbar korrigieren werden. Ferner schrieben auch
einzelne Gemeinden, die um den Erhalt ihrer Pfarrerstelle
kämpften. Zum Teil ging dies allerdings auf Kosten der
Nachbargemeinde. Schließlich gab es auch ein
gerütteltes Maß an Vorwürfen, wir
hätten diesen Plan ohne pastorales Konzept und ohne
Hinweise auf Schwerpunkte erstellt, bis zu der
Unterstellung, letztlich wollte ich, der Weider, nur meine
Meinung durchsetzen, ohne die Äußerungen der
Basis ernst zu nehmen. Ich muß gestehen, daß mich
dies doch sehr betroffen gemacht hat.
INFO: Der Stellenplan
ist zunächst von der Finanzknappheit und dem Mangel an
Priestern und anderen pastoralen und kirchlichen Berufen
gekennzeichnet. Wo sehen Sie in dieser Situation Perspektiven
für eine zukunftsfähige Kirche?
Weider: Die Erfahrung
lehrt, daß beim Abzug eines Priesters aus einer
Pfarrei neue Lebenskräfte erwachen, und manches
Gemeindemitglied aus der Verborgenheit heraustritt, um in
dieser Situation die Gemeinde mitzutragen. Die Lebendigkeit
einer Pfarrei hängt ja nicht vom Amt des Pfarrers
allein, sondern auch von seiner Initiative ab, wie er
Vertrauen geschenkt hat, wie er bemüht war, die
einzelnen Charismen zum Zuge kommen zu lassen und wie er
neue Möglichkeiten im Rahmen der Ordnung der Kirche
ausgeschöpft hat. Eine Gemeinde lebt davon, wie
Verantwortung delegiert und auf viele Schultern verteilt
wird. Sie lebt oft auch vom Einsatz einzelner, die
ansprechbar, umsichtig und selbstlos sind. Auf solche
Bezugspersonen werden wir, gerade in Gemeinden ohne
Priester am Ort, nicht verzichten können. Nicht
zuletzt ist auch entscheidend, wie ehrenamtliche Helfer
angesprochen und begleitet werden. Wo dies geschieht, ist
mir um das Leben einer Gemeinde nicht bange. Wichtig wird
sein, wieviel Eigeninitiative entwickelt und von den
Mitverantwortlichen auch zugelassen wird. Darüber
hinaus sollten alle um die Einheit bemüht
sein.
INFO: Können Sie noch
genauer beschreiben, vor welchen Aufgaben Gemeinden stehen,
die künftig keinen Priester vor Ort haben
werden?
Weider: Eine Gemeinde,
die künftig keinen Priester mehr am Ort haben wird,
sollte schon jetzt eingeübt werden zu einem guten
Miteinander und einem Dialog aller, die z.Zt. Verantwortung
tragen. Das Pfarrhaus sollte offen sein, Informationen
sollten weiter gegeben werden, Dienstgespräche sollten
auch dann gehalten werden, wenn es nur wenige Mitarbeiter
oder vielleicht nur ehrenamtliche Helfer gibt, indem man
miteinander über die nächste Zeit des Lebens in
einer Gemeinde spricht. Ferner sollten Kontakte zur
Nachbarpfarrei geknüpft und entwickelt werden. Die
Charismen in einer Gemeinde sind in der Zeit der
Vorbereitung auf die priesterlose Zeit besonders zu suchen,
zu entfalten und zu pflegen. Es wäre meines Erachtens
wichtig, daß ein oder zwei Kommunionhelfer in einer
priesterlosen Gemeinde sind, damit sie notfalls
Wortgottesdienste, Andachten und Krankenbesuche
übernehmen können. Wo dies noch nicht geschehen
ist, sollte der Pfarrer rechtzeitig Männer und Frauen
zu diesem Dienst anmelden.
INFO: Die Kirche befindet
sich derzeit in einer Phase des Umbruchs. Welche Haltungen
und Tugenden sind Ihrer Meinung nach in der
gegenwärtigen Situation besonders wichtig?
Weider: Besonders
wichtig erscheinen mir: das Bemühen um Einheit –
der Blick für das Ganze, die Eigeninitiative, ohne
sich selbst in den Mittelpunkt zu spielen - die
Kirchlichkeit, die nicht nur zur eigenen Selbstdarstellung
drängt, sondern das tun will, was die ganze Kirche
tut. Auch die Aufgeschlossenheit für suchende Menschen
und die Bereitschaft für Aufgaben, die vielleicht als
Belastung und Zumutung erfahren werden könnten,
müßten entwickelt werden.
INFO: Angesichts des
Priestermangels ist die Zusammenarbeit von Priestern und
Laien sehr wichtig geworden. Muß diese Zusammenarbeit
nach der römischen “Instruktion zu einigen Fragen
über die Mitarbeit von Laien am Dienst der
Priester“ neu überdacht werden?
Weider: Wir haben im
Erzbistum Berlin stets bei der Aus- und Weiterbildung der
Kommunionhelfer sehr darauf geachtet, daß der
Unterschied zwischen ordentlichem und
außerordentlichem Spender nicht verwischt wird. Dabei
haben wir immer darauf hingewiesen, daß der Dienst der
Laien bei der Kommunionspendung nur in Frage kommen kann,
wenn es an Priestern fehlt, wenn ein Priester
gesundheitlich behindert ist oder wenn die Zahl der
Kommunikanten sehr groß ist. Wo nach dieser Ordnung
gehandelt wurde, sehe ich keine Notwendigkeit, unsere
Praxis aufgrund der Instruktion zu überdenken.
Außerdem bezieht sich die Instruktion nur auf Bereiche
der Liturgie, die sich für den Laien geöffnet
haben aufgrund des Priestermangels. Das ist nur ein
Teilbereich. Die liturgischen Aufgaben, die dem Laien
aufgrund von Taufe und Firmung zukommen, wie z.B. der
Dienst von Lektoren, Kantoren und Ministranten, sind in der
Instruktion nicht berührt und auch ohne Priestermangel
sehr vonnöten. Darüber hinaus sind natürlich
auch alle anderen Laienaktivitäten in einer Gemeinde
und das Bemühen, den Geist des Evangeliums in die
Gesellschaft zu tragen, unverzichtbar. Gerade dies ist ja
der besondere spezifische Dienst des Laien, durch den die
Kirche in der Welt erfahren werden kann.
INFO: Können Sie die
Zusammenarbeit zwischen Priestern und Laien an dem Beispiel
der Krankenhausseelsorge verdeutlichen?
Weider: Gerade in der
Krankenhausseelsorge werden wir ehrenamtliche
Besuchsdienste mit einer guten Vorbereitung dringend
benötigen. Wir brauchen diese Helfer, um Kontakt zu
den Kranken zu schaffen, aber auch um allen Kranken, die es
wünschen, die hl. Kommunion zu bringen. Es wäre
allerdings nicht gut, wenn dies nur Laien täten. Es
sollte auch immer wieder der Priester im Krankenhaus
präsent sein, damit das Angebot zum Bußsakrament
und zur Krankensalbung angenommen werden kann. Laien
sollten aber bei einem solchen kleinen Gottesdienst am
Krankenbett nicht fehlen, sondern sie könnten
vorbereiten, mitbeten, und auch nachbereiten.
INFO: Unser Erzbischof
Kardinal Sterzinsky hat ein diözesanes Pastoralforum
einberufen. Welche Aufgaben und Chancen sehen Sie für
dieses Geschehen?
Weider: Das
diözesane Pastoralforum wird sicher manche Aufgaben im
pastoralen und liturgischen Bereich unserer Gemeinden
wieder in den Blick bringen müssen. Es wird auch das
Bewußtsein für die unterschiedlichen Dienste von
Laien und Priestern neu wecken und vertiefen. Nicht zuletzt
erhoffe ich mir, daß der Dialog zwischen allen, die
Verantwortung in den Gemeinden und im Erzbistum tragen, mit
einer großen Ehrfurcht vor den geistlichen und
menschlichen Erfahrungen der einzelnen, seien es nun Laien
oder Priester, geführt wird. Ich erwarte für das
diözesane Pastoralforum nicht Wege außerhalb des
Weges der Gesamtkirche, sondern ein neues lebendiges Ja zur
großen Gemeinschaft in unserem Erzbistum und zur
Weltkirche. Es gibt darin sicher viele Herausforderungen
aber auch Möglichkeiten für das Leben der Kirche
in der Welt, die wir noch entdecken müssen, um sie
mutig miteinander verwirklichen zu können.
Schließlich erhoffe ich mir dadurch auch Erneuerung
des Glaubens sowie Freude am Leben der Kirche. Denn nur aus
einem erneuerten und frohen Glauben werden wir wieder die
vielfältigen Berufungen erkennen und annehmen
können, die uns der Geist Gottes schenkt und die in
der jetzigen Situation besonders notwendig sind.
Interview: Hermann
Fränkert-Fechter
AUS: Informationen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Hg. Seelsorgeamt des Erzbischöflichen Ordinariats Berlin. Nr. 55, I.
Quartal 1998. S. 34ff