Manchmal „Postkutsche“ fahren

Im Gespräch mit der KirchenZeitung: Gerhard Schöne

Berlin - Die Lieder, die Gerhard Schöne in der DDR gesungen hat, konnten durchaus oppositionell zur SED und zum Staat DDR verstanden werden. Besonders deutlich wurde seine Kritik am real existierenden Sozialismus auf der Doppel-LP „Du hasst es nur noch nicht probiert“, die bei AMIGA als live-Mitschnitt erschienen ist. Gerhard Schöne arbeitet auch heute als Liedermacher und Konzertmusiker. Wir sprachen mit ihm über neue Wege unter neuen Bedingungen.

Frage: Herr Schöne, Musikkanäle wie MTV oder VIVA präsentieren immer schnellere Musik und immer rasantere Video-Schnitte. Wirkt es nicht anachronistisch, wenn Sie heute mit der Akustik-Gitarre vor dem Bauch und der Mundharmonika um den Hals vor Ihr Publikum treten?
Schöne: Mir ist schon klar, dass Sender wie VIVA mich wahrscheinlich kaum gebrauchen können. Menschen aus Fleisch und Blut suchen aber auch Ruhe und Futter zum Nachdenken.
Persönlich höre ich auch ganz gerne andere Musik als meine eigene. Ein Schweizer Regiseur, mit dem ich im letzten Jahr zusammengearbeitet habe, sagte zu mir: „Das, was Du machst, ist mit der Postkutsche fahren im Zeitalter der schnellen Autos und Flugzeuge.“ Aber es gibt auch heute Leute, die gerne mal Postkutsche fahren möchten.

Frage: In der DDR setzte sich Ihr Konzert-Publikum häufig aus Oppositionellen zusammen. Sie sind oft in Kirchen aufgetreten. Welche Menschen erreichen Sie heute - zehn Jahre nach der Wende - mit Ihrer Musik, mit Ihren Texten?
Schöne: Da möchte ich zunächst widersprechen. Ich glaube nicht, dass mein Publikum in der DDR aus Oppositionellen bestand. Auch habe ich mich selbst nicht so gesehen. Ich habe mich als kritischen Bürger gesehen. Den Wunsch, die DDR abzuschaffen, hatte ich nie. Meine Idee war, zwei Modelle von Gesellschaftordnungen könnten durchaus nebeneinander auf der Welt existieren. Natürlich mit weniger Ungerechtigkeiten und Engstirnigkeiten. Damals habe ich mit meinen künstlerischen Möglichkeiten daran gearbeitet, dass die DDR offener, freier und toleranter wird. Mein Publikum war durchaus bunt gemischt. Und ich habe mich eigentlich immer unwohl gefühlt in der Kirche als sogenannten „Schutzraum“, wo wir nur unter uns waren. Diesen Ansatz fand ich immer blöd. Für mich war es viel interessanter, so offen wie möglich aufzutreten. In einem Theater, auf einer Freilichtbühne, wo ohnehin ganz unterschiedliche Leute zusammenkommen. Auch hatte ich nie zwei Programme. Das, was ich in den Kirchen gesungen habe, konnte mein Publikum auch bei Open-Air- Konzerten hören. Für mich war damals interessant, dass ein und dasselbe Lied hier wie dort ganz unterschiedlich aufgenommen, ganz unterschiedlich interpretiert wurde. Natürlich gab es in der DDR seitens des Publikums die starke Erwartung, dass Künstler nicht alles bejahen, was ist, sondern auch kritisch Position beziehen zum Staat DDR, zur SED. Manche suchten in mir so etwas wie einen Stellvertreter für Positionen, die zu äußern sie sich selbst nicht trauten. Das hat mich immer ein bisschen traurig gemacht.

Frage: Das war der Blick zurück. Wie sieht es heute aus?
Schöne: Heute gibt es diese Erwartung nicht mehr. Deshalb bleibt dieser Teil des Publikums auch weg. Ich glaube, heute kommen Menschen, die eine Auseinandersetzung mit den Problemen der jetzigen Zeit erwarten. Viele sind Suchende, die sich darüber freuen, wenn jemand in der Lage ist, Dinge auf den Punkt zu bringen.
Ein großer Teil des Publikums ist mir treu geblieben. Viele bringen ihre Kinder mit in die Konzerte, so dass ich das Gefühl habe, meine Lieder gehören sozusagen mit zur Familie. Nicht selten sind auch Menschen dabei, die meine Platten von früher kennen, und die einfach mal gucken möchten, was ich jetzt so mache.

Frage: Mein Eindruck in der DDR war, dass Sie viele ihrer Texte geschrieben haben, um sich zu reiben am real existierenden Sozialismus. Wie sehen die Reibflächen heute aus?
Schöne: So viel anders ist es oft gar nicht. Die Bevormundung findet heute nicht mehr im Namen einer Ideologie statt. Aber es gibt Maßregelungen, die mit den Gesetzen des Marktes einhergehen. Sehen Sie sich nur die Situation auf dem Arbeitsmarkt an. In der DDR war die Lage schön eindeutig. Da hielten die SED-Bonzen die Gängelleine fest in den Händen. Heute ist die Bevormundung deutlich komplizierter zuzuordnen. Unstrittig ist nur, dass es sie gibt. Die Reibung mit dem Staat DDR habe ich eigentlich nie gesucht. Ich bin ein stark harmoniebedürftiger Mensch. Wenn ich kritische Dinge gesagt habe, dann aus der Einschätzung heraus: es geht nicht mehr anders, es ist nicht mehr auszuhalten. Und so ist es auch heute. Ich überlege, wo fühle ich mich, wo fühlen sich andere gefährdet in ihrem Menschsein? Wo gehen ethische Normen den Bach runter? Wo ist etwas in Gefahr, was das Leben lebenswert macht? Und diese Dinge versuche ich in meinen Liedern zu beschreiben. Eigentlich erzähle ich Geschichten.

Frage: Sie sind evangelischer Christ. Spielt ihr Christsein bei der Bewertung von Problemen und bei der Suche nach Antworten eine Rolle?
Schöne: Ja. Nur tue ich mich schwer mit dem christlichen Wortschatz. Mir ist es immer auf die Nerven gegangen, wenn andere mich von ihrem Glauben oder ihrer Ideologie zu überzeugen versuchten. Und ich denke, das geht anderen Menschen ähnlich. Auch wehre ich mich gegen das Schubladendenken. Etwa, dass Leute sagen: „Ach so, der ist Christ, na ja.“ Mein Glücksgefühl aus der Geborgenheit des Glaubens heraus kann ich auch anders zum Ausdruck bringen. Ohne beispielsweise dauernd Jesus oder Gott im Munde zu führen. Viele Mensche meinen, nicht zu glauben. Dennoch tragen sie religiöse Sehnsüchte in sich. An solchen Punkten möchte ich anknüpfen. Das ist mir sehr wichtig.

Frage: „Was muss ich noch schaffen, noch kaufen? Ist denn schon alles gelaufen - oder fehlt da noch was?“ Diese Textstelle findet sich in einem Stück Ihres 1981 bei AMIGA erschienenen Debüt-Albums „Spar deinen Wein nicht auf für morgen“. Was ist es, was noch fehlt?
Schöne: Das ist eben die Frage an die Zuhörer. Im Tagebuch von Max Frisch beschreibt der Autor eine Diskussion mit Studenten. Und die wünschen sich klare Aussagen, wünschen sich ein Bekenntnis des Schriftstellers. Und Frisch antwortet ihnen, wenn ich sagen würde, wo ich stehe, würdet ihr wenig davon haben.
Mir geht es ebenso darum, Fragen zu stellen, die die Zuhörer unruhig machen. Die Antwort wird ihnen jedoch nicht geliefert. Die muss jeder für sich selbst finden. Wer sich immer wieder an die Frage erinnert, ist gezwungen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und trotzdem werden im Leben immer Fragen offen bleiben müssen.

Interview: Thomas Steierhoffer

Nr. 11/00 vom 12. März 2000
(C) by kkz

 

Nächster

Vorheriger

Inhalt