Der erste Beitrag zu diesem Thema in der
Dezember-Ausgabe hob den besonderen Rang des
konfessionell gebundenen Religionsunterrichts an
öffentlichen Schulen hervor. Das Grundgesetz
stellt ihn in den Zusammenhang mit beson-ders
geschützten Elterngrundrechten und
überträgt dem Staat die Aufgabe seiner
institutionellen Sicherung. Da der Staat zur
religiösen und weltanschaulichen Neutralität
verpflichtet ist, obliegt die inhaltliche Ausgestaltung
den Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften. Die
Situation im Land Berlin
Trotz der festen Verankerung des Religionsunterrichts
im Grundrechtsteil läßt das Grundgesetz
Ausnahmeregelungen für einzelne Bundesländer
zu. Gemäß Art. 141 findet Art.7 (3)
keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1.
Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung
bestand (Bremer
Klausel).
Die Väter des Grundgesetzes wollten damit bereits
politisch mühsam ausgehandelte Kompromisse in
einzelnen Ländern nicht gefährden. Neben
Bremen ist Berlin ein solches Land.
Wie kam es dazu?
Die politische Situation im Berlin der unmittelbaren
Nachkriegszeit brachte dieses Ergebnis hervor. Bereits
im ersten Magistrat (der damaligen Landesverwaltung)
Gesamt-Berlins wurde die Frage der Wiederaufnahme des
Religionsunterrichts diskutiert. Der damalige
Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Karl Maron,
forderte im Namen seiner Partei, der Sozialistischen
Einheitspartei Deutschlands(SED), daß alternativ
zum Religionsunterricht ein Unterricht über den
Marxismus-Leninismus eingeführt werde. Unter
diesen Umständen verständigten sich die
politischen Kräfte im Magistrat auf die
Nichteinführung des Religionsunterrichts als
ordentlichem Lehrfach. Das Berliner Schulgesetz
übernahm zwei Jahre später diese Entscheidung
als verbindliche Regelung. Die Ausnahmesituation
Berlins beruht also nicht auf pädagogischen,
religiösen oder schulrechtlichen
Begründungen, sondern auf einem fünfzig Jahre
zurückliegenden politischen Sonderzustand.
Dies wird häufig übersehen, wenn von den
Verfechtern des aktuellen Zustandes behauptet wird, die
Berliner Regelung habe sich
bewährt.
Die §§ 23 und 24 des Berliner Schulgesetzes
umreißen den Status des Faches wie folgt
(Berliner Modell): Der
bekenntnisgebundene evangelische und katholische
Religionsunterricht und der weltanschaulich gebundene
Lebenskundeunterricht des Humanistischen Verbands sind
keine ordentlichen Unterrichtsfächer. Zur
Teilnahme bedarf es der Anmeldung der Eltern bzw. der
religionsmündigen Schüler. Der Unterricht
wird innerhalb der Unterrichtszeit des Stundenplans,
aber außerhalb der Stundentafel erteilt.. Er ist
Sache der Kirchen, Religions- und
Weltanschauungsgemeinschaften. Er wird von Personen
erteilt, die von diesen beauftragt
werden...
Neben der Gewährung von Schulräumen
übernimmt das Land Berlin finanzielle
Zuschüsse in Höhe von derzeit höchstens
90% - je nach Haushaltslage auch weniger - der
Personalkosten der Religionslehrer. Die restlichen
Kosten, einschließlich die der Lehrmittel, tragen
die genannten Kirchen und Gemeinschaften.
Die Zwitterstellung des Faches im Berliner Schulsystem
bringt eine Reihe von schwerwiegenden praktischen
Problemen mit sich, die hier nur angedeutet werden
können:
- Der Religionsunterricht wird in die ungeliebten
Randstunden zum Beginn oder Ende
des Unterrichtstages verlegt, damit die nicht daran
teilnehmenden Schüler nicht vom - teuren -
Lehrpersonal nutzlos beaufsichtigt werden
müssen.
- Dies fördert die Neigung der Schüler,
sich abzumelden, um Freizeit zu gewinnen.
- Damit arbeitsfähige Gruppengrößen
erreicht werden, müssen mitunter Schüler
verschiedener Jahrgänge zusammengefaßt
werden, was pädagogisch und organisatorisch den
genannten Trend verstärkt.
- Der Religionslehrer hat Mühe, als Mitglied
eines Kollegiums anerkannt zu werden, zumal wenn er
an mehreren Schulen tätig sein muß.
In den letzten Jahren wurde dem Religionsunterricht
in der bildungspolitischen Diskussion des Landes im
Zusammenhang mit der Diskussion um die Werteerziehung
an der Schule wieder mehr Beachtung geschenkt.
Wenn heute die Einführung eines solchen besonderen
Faches - unter welcher Namensgebung auch immer -
gefordert wird, dann aus der Erkenntnis heraus,
daß die entsprechende Erziehung in den Familien
nicht mehr ausreichend geleistet wird und der Schule -
auch im eigenen Interesse dieser Institution - die
zusätzliche Aufgabe zugewachsen ist, etwa die
Erziehung zur angemessenen Arbeitshaltung, zur
Mitmenschlichkeit, Kameradschaft, Rücksicht,
Achtung des Eigentums etc.
Welchen Beitrag der Religionsunterricht zu dieser
Erziehungsaufgabe der öffentlichen Berliner Schule
leisten könnte, wird in einem Folgebeitrag
dargestellt.
J. Schweier
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